Rede von Frank Bsirske Arbeitszeiterfassung

Frank Bsirske MdB
26.05.2023

Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Abgeordnete! Der vorliegende Antrag der Union geht von einem sehr einseitigen Verständnis von Vertrauensarbeitszeit aus. Die berechtigten Schutzinteressen der Beschäftigten werden pauschal als unnötige bürokratische Belastung für die Unternehmen abgetan. Von Respekt für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten zeugt das nicht. So viel schon einmal vorweg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

In Deutschland gibt es heute eine Pflicht der Arbeitgeber zur vollständigen Erfassung der täglichen Arbeitszeit. Es gibt auch keine weitgehenden Ausnahmen von dieser Dokumentationspflicht, etwa für alle Beschäftigten mit Vertrauensarbeitszeit. Lassen Sie es mich deutlich sagen: Im Gefolge der Urteile von EuGH und BAG ist eine vollständige Arbeitszeiterfassung nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern sie trägt auch dazu bei, für mehr Gerechtigkeit und Fairness in der Arbeitswelt zu sorgen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Genau das Gegenteil von dem, was Herr Kober gesagt hat!)

Den Gerichten geht es – und das muss in der Folge auch den Gesetzgeber leiten – um den Schutz der Gesundheit und die Sicherheit der Arbeitnehmer/-innen in einer immer flexibler werdenden Arbeitswelt. Gemessen daran ist es bezeichnend, ja geradezu entlarvend, dass das Wort „Gesundheitsschutz“ in dem Antrag der Union kein einziges Mal auftaucht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Gerade in einer flexiblen Arbeitswelt kommt der Erfassung der geleisteten Arbeitszeiten aber eine besondere Bedeutung zu. Nur mit ihrer Hilfe kann die Einhaltung von Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Pausen überhaupt erfolgen. Das hilft, zu verhindern, dass Arbeitnehmer/-innen ausgebeutet werden oder sich selbst ausbeuten und darüber die Sicherheit und Gesundheit von sich selbst und anderen gefährden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist wichtig, klarzustellen, dass man diese Grundsatzurteile des EuGH und des BAG nicht einfach durch eine Änderung der Gesetzeslage umgehen kann. Ich sage das so deutlich; denn genau das scheint das Begehr des Unionsantrages zu sein. Und das lehnen wir ganz entschieden ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Urteile haben einige Dinge offengelassen. Entschieden wurde die Frage des Ob der Arbeitszeitaufzeichnung. Die Frage des Wie zu klären, obliegt nun dem Gesetzgeber. Da schafft die Ampel mit einem Gesetzentwurf nun Rechtssicherheit für Unternehmen wie Beschäftigte.

Bedeutet die Pflicht zur Zeiterfassung nun das Aus für die Vertrauensarbeitszeit? Hermann Gröhe sprach von Entmündigung. Ganz sicher nicht! Wie schon heute können Beschäftigte ihre Arbeitszeit auch in Zukunft auf Vertrauensbasis individuell gestalten, solange dabei der Arbeitsschutz gewährleistet ist. Neu ist nur, dass auch bei Vertrauensarbeitszeit eine Pflicht zur vollständigen Erfassung der Arbeitszeit besteht.

Die Union geht in ihrem Antrag aber von einem anderen Verständnis von Vertrauensarbeitszeit aus. Für die Union scheint Vertrauensarbeitszeit zu bedeuten, dass die Dauer der Arbeitszeit keine Rolle spielt. Von daher muss man sie auch nicht erfassen. Dann reden wir aber nicht über Arbeitnehmer mit Vertrauensarbeitszeit, sondern über Selbstständige, die nach ihrem Arbeitswerk und nicht nach Stunden bezahlt werden.

Demgegenüber ist die Vertrauensarbeitszeit dadurch definiert, dass der Arbeitgeber darauf verzichtet, den Beginn, die Dauer, jedenfalls soweit diese im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen verbleibt, und das Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit festzulegen. Die Beschäftigten können die Arbeitszeit, die sie für die Aufgabenerledigung brauchen, frei auf den Tag verteilen. Das ist Vertrauensarbeitszeit. Beschäftigte wie Arbeitgeber müssen aber die gesetzlichen Arbeitszeitvorschriften beachten. Der Arbeitgeber bleibt in der Verantwortung und muss die Einhaltung dieser Schutzvorschriften sicherstellen. Das ist heute so, und das wird auch in Zukunft so bleiben unter den Bedingungen von Vertrauensarbeitszeit.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD und der Abg. Susanne Ferschl [DIE LINKE])

Nun zu einem anderen Kritikpunkt. In den Augen der Union mutieren die elektronischen Zeiterfassungssysteme zur bürokratischen Zumutung. Braucht es eigentlich überhaupt so etwas wie eine elektronische und zugleich manipulationssichere Arbeitszeiterfassung?

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Manipulationssicher muss das auch noch sein! Das ist ja großartig!)

Ja, allemal in missbrauchsanfälligen Branchen wie dem Baugewerbe oder der Logistikbranche, in Branchen also, in denen häufig Höchstarbeitszeiten nicht eingehalten, Überstunden nicht bezahlt und die Beschäftigten um ihren Lohn betrogen werden. Da ist tagesgenaue, manipulationssichere Arbeitszeiterfassung wichtig. Es muss stets ersichtlich sein, ob ursprünglich erfasste Daten zu einem späteren Zeitpunkt verändert worden sind.

Eine manipulationssichere Zeiterfassung ist heute technisch auf einfache Weise umsetzbar, und sie liegt nicht nur im Interesse der Beschäftigten. Die Sozialkasse des Berliner Baugewerbes als gemeinsame Einrichtung von Arbeitgebern und Gewerkschaften zum Beispiel pilotiert gerade ein manipulations- und datenschutzsicheres Arbeitszeiterfassungssystem, das mobil eingesetzt werden kann. Die bisherigen Rückmeldungen der teilnehmenden Unternehmen und Beschäftigten im Baugewerbe sind sehr positiv. Eine digitale und manipulationssichere Arbeitszeiterfassung hilft den gesetzestreuen Unternehmen, schützt die Beschäftigten und erleichtert dem Zoll seine Arbeit bei Kontrollen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE])

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich bin sofort fertig. – Digitale Angebote zur Zeiterfassung sind übrigens auch nicht teuer. Die Kosten für die technische Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung liegen bei durchschnittlich 450 Euro pro Betrieb.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Herr Abgeordneter, letzter Satz, bitte.

Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Damit komme ich zum Ende.

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das wäre gut.

Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das sollte uns der Schutz der Beschäftigten allemal wert sein, werte Abgeordnete.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Als Nächstes erhält Carl-Julius Cronenberg für die FDP-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Und jetzt hören wir genau das Gegenteil! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)