Rede von Dr. med. Paula Piechotta Arzneimittelversorgung

Dr. Paula Piechotta MdB
24.05.2023

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Niemand hier verspricht das Unmögliche. Was man dem Ministerium angesichts dieses Gesetzentwurfs wirklich nicht vorwerfen kann, ist, dass es besonders viele oder besonders PR-taugliche Versprechungen machen würde.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Die schaffen noch nicht mal das Mögliche im Ministerium!)

Das ist nicht das „Gute-Pillen-aus-Deutschland-und-ab-jetzt-ist-alles-sorglos-Gesetz“. Das ist das ALBVVG – typisches Behördendeutsch –, und genauso spröde und genauso kompliziert wie der Sachverhalt ist, ist auch dieses Gesetz. Und das ist okay so.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Ach, ja?)

Die veränderte weltpolitische Lage, aber auch die Lehren aus der Coronapandemie, was die Arzneimittellieferengpässe betrifft – das muss hier alles mitverarbeitet werden. Das ist ein enormer Kraftakt, der in der letzten Legislaturperiode nicht vorgedacht wurde von der Vorgängerregierung. Das muss alles noch eingearbeitet werden in ein Gesundheitswesen, das ohnehin schon enorm komplex ist – und das alles auch vor dem Hintergrund, dass ja parallel die nächsthöhere Ebene, die Europäische Kommission, an ihrem eigenen legislativen Paket für die Arzneimittelsicherheit arbeitet. Das sind enorm komplexe Voraussetzungen, und deswegen sind die Debatten, die wir jetzt zu diesem Thema führen – auch mit den Akteuren im Gesundheitswesen –, so besonders komplex.

Herr Kippels, Sie haben vielleicht viel mit Apothekerinnen und Apothekern gesprochen, und das haben wir auch gemacht. Aber es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Akteure, und von denen kommt dann oft der Einwand: Wie kann es eigentlich sein, dass wir erst jetzt in der Zeitenwende realisieren, dass wichtige Standortvoraussetzungen in Europa nicht nur im Bereich Arzneimittel, sondern zum Beispiel auch bei der Halbleiterproduktion oder bei der Chipproduktion geschaffen werden müssen? In all diesen Bereichen arbeiten wir mit Steuergeldern, mit großen europäischen Programmen, aber im Bereich Arzneimittel sollen es plötzlich die Sozialversicherungen richten. – Das ist ein berechtigter Einwand. Ich glaube, an der Stelle müssen wir auch so ehrlich sein, zu sagen: Man wird diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Zeitenwende und des De-Risking von China nicht alleine mit den Mitteln der GKV lösen können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Was die GKV aber leisten kann, was wir gemeinsam mit Ihnen hoffentlich in den nächsten Wochen – in vertraulicher Atmosphäre und immer mit dem Patienten im Mittelpunkt – konstruktiv beraten können, ist die Frage: Wo gibt es in unserer GKV diese Fehlanreize, die es vielleicht wahrscheinlicher machen, dass unsichere Lieferketten entstehen? Wo gibt es Regelungen, die so gestrickt sind, dass sie es Versorgenden besonders schwer machen – ob Apotheken oder Praxen –, im Lieferengpassfall Patienten zu versorgen? Und wo können wir relativ aufwands- und regulationsarm zum Beispiel bei der Bevorratung tatsächlich Abhilfe schaffen? Das gilt immer in dem Bewusstsein: Die GKV kann nicht alles regeln. Wenn man alles an internationalen Arzneimittelsicherheitsproblemen und Lieferengpassproblemen über die GKV lösen wollte, würde man sich verheben. Und diesem Vorwurf sollte sich hier niemand aussetzen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich habe schon gesagt: Das ist ein sehr komplexes System, in das wir da eingreifen: die Arzneimittelvergütung in der GKV. Im Zentrum der parlamentarischen Beratungen wird es daher unglaublich wichtig sein, zu schauen: Welche komplexen Folgewirkungen hat das eventuell, was wir da an Eingriffen machen? Deswegen werden wir auch darüber reden müssen: Gibt es hier vielleicht Mitnahmeeffekte, die dort entstehen, wo wir mehr Geld ausschütten, ohne dass Versorgung besser wird? An welcher Stelle können wir noch stärker digitale Lösungen einbinden, damit mehr Versorgungsengpässe nicht mehr Aufwand für die Versorgenden bedeuten?

(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und natürlich: Wie schaffen wir es, dass wir uns nicht mit neuen Vergütungspauschalen in den Lieferengpässen häuslich einrichten und es uns gemütlich machen, sondern dass wir gemeinsam Anreize schaffen, damit wir mit vereinten Kräften diese Lieferengpässe mittel- und langfristig komplett überwinden?

Das wird wichtig sein. Bei diesen Beratungen wird für uns – ich habe es schon gesagt – im Mittelpunkt nicht derjenige Akteur stehen, der am lautesten schreit, und auch nicht der Akteur, der die großformatigsten Briefe an alle Abgeordneten schreibt, sondern im Zentrum unserer Überlegungen steht der Patient. Ich hoffe, das gilt für Sie alle.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich auf verantwortungsbewusste Beratungen in den nächsten Wochen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Jörg Schneider.

(Beifall bei der AfD)