Foto von Filiz Polat MdB
16.03.2023

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf leistet in keiner Weise einen Beitrag zu einer an den Menschenrechten orientierten Flüchtlingspolitik.

(Beatrix von Storch [AfD]: Jetzt bin ich aber überrascht!)

Er ist eher Ausdruck von tief verankerten, dumpfen Ressentiments.

(Beatrix von Storch [AfD]: Und Rassismus! Und Hass! – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie auch noch andere Vokabeln?)

Er spaltet. Wieder einmal trennt die AfD zwischen Geflüchteten erster und zweiter Klasse. Die Realität ist eine andere. Rund 200 000 Menschen leben derzeit bei uns mit dem prekären Status der Duldung. Es ist so, wie Herr Seif es gesagt hat: Ja, das sind abgelehnte Asylbewerber/-innen,

(Beatrix von Storch [AfD]: Ausreisepflichtig!)

und sie haben damit bisher keine feste Aufenthaltsperspektive, genau.

Meine Damen und Herren, die Duldungsgründe sind aber so vielfältig wie die Lebensgeschichten dieser Menschen.

(Beatrix von Storch [AfD]: Nee!)

Sie sind geduldet, weil – Herr Seif hat es gesagt – die Menschen sich in einer Ausbildung befinden – die Ausbildungsduldung – oder weil sie nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können, wie zum Beispiel die Kriegsflüchtlinge aus Afghanistan, die unter Ihrer Regierung zum größten Teil abgelehnt wurden. Zuletzt waren es allein mehr als 25 000 Menschen aus Afghanistan, die nach wie vor geduldet sind.

Viele sind langjährig aus diesen vielfältigen Gründen geduldet. Mehr als 75 Prozent all dieser Geduldeten sind im erwerbsfähigen Alter. Sie könnten also arbeiten,

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Tun sie aber nicht!)

wenn sie eine Beschäftigungserlaubnis bekämen, Herr Seif. Deshalb, meine Damen und Herren, lautet die Antwort der Fortschrittskoalition: Chancen geben und Perspektiven schaffen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ausbildung statt Abschiebung, Beschäftigung statt Arbeitsverbote. Wir laden Sie alle ein, diesen Weg mitzugehen.

Mit dem zum Jahresbeginn in Kraft getretenen Chancen-Aufenthaltsrecht holen wir von den 200 000 mehr als 137 000 Menschen aus dem System der entwürdigenden Kettenduldung und geben ihnen endlich eine Perspektive. Wir haben mit unserer Reform des Bleiberechts für gut Integrierte dafür gesorgt, dass ein größerer Personenkreis anspruchsberechtigt geworden ist. Der nächste Schritt wird sein, meine Damen und Herren: Wir werden die Ausbildungs- und die Beschäftigungsduldung im nächsten Gesetzespaket verbessern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])

All diese bereits in Kraft getretenen oder anstehenden Reformen werden greifbare Ergebnisse haben. Wir leisten damit einen Beitrag zur Arbeitskräftesicherung, wir entlasten die Ausländerbehörden, und wir fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das ist der richtige Weg, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Gülistan Yüksel [SPD] – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Was ist denn das für ein Schwachsinn? Das ist wirklicher Schwachsinn!)

– Herr Hoppenstedt, jetzt richte ich den Blick mal auf das schönste Bundesland, weil Sie gerade dieses Wort gesagt haben; ich weiß nicht, ob das parlamentarisch ist.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das ist doch parlamentarisch!)

In Niedersachsen

(Christoph de Vries [CDU/CSU]: „Niedersachsen“ darf man sagen!)

gibt es nämlich fortschrittliche Ideen der CDU-Kollegen, Herr Hoppenstedt,

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

unter dem Motto „Arbeit statt Abschiebung“ sowie – man höre und staune, meine Damen und Herren – die Forderung nach einem „Rechtsanspruch auf zusätzliche Integrationsmaßnahmen“ für abgelehnte Asylbewerber/-innen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! Unglaublich!)

Da kann ich nur sagen: Weiter so, liebe CDU in Niedersachsen! Schließen Sie sich an, liebe CDU hier im Deutschen Bundestag! Menschen brauchen Brücken in Arbeit, eine Perspektive. Es braucht jetzt den Spurwechsel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es ist absurd, Menschen dazu zu zwingen, aus- und wieder einzureisen, damit sie den Aufenthaltstitel zum Arbeiten oder für die Ausbildung erhalten. Unsere Reformpläne werden ja breit geteilt: von der Zivilgesellschaft, von den Kirchen, von den Gewerkschaften und nicht zuletzt von der Wirtschaft, insbesondere von den kleinen und mittelständischen Betrieben und ihren Verbänden.

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, lade ich Sie noch mal ein: Stellen Sie mit uns die Menschen in den Mittelpunkt! Machen Sie mit bei den Reformen zum Spurwechsel! Geben Sie Menschen, die hier einen Beitrag für unser Land und diese Gesellschaft leisten wollen, die Chance, zu arbeiten! Machen Sie mit bei der Abschaffung von Arbeitsverboten für Geflüchtete! Sagen Sie Ja dazu, dass Familien zusammengehören!

(Beatrix von Storch [AfD]: Da bahnt sich eine Koalition an!)

Sagen Sie Nein zur Abschiebung nach Afghanistan, Syrien und in andere Länder, in denen Krieg und Verfolgung herrschen!

(Beatrix von Storch [AfD]: Oder Klimakatastrophen!)

Helfen Sie mit, Herr Seif, die Ausländerbehörden zu entlasten! Sagen Sie Ja zur Öffnung von Integrationskursen für alle, unabhängig von der Herkunft!

Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Opposition, stärken Sie so den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft! Machen Sie mit dabei, Deutschland zu einem attraktiven Ort zu machen,

(Beatrix von Storch [AfD]: Für alle Menschen aus der ganzen Welt!)

an dem die Menschen sich auf- und angenommen fühlen!

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Clara Bünger ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)