Julian Pahlke MdB
16.03.2023

Julian Pahlke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Vor zwei Wochen gingen Bilder von Särgen um die Welt. Mehrere Reihen, besonders kleine weiße Särge für Kinder, die in einer Turnhalle in Crotone in Italien liegen. Vor der süditalienischen Küste sind mindestens 76 Menschen gestorben. Letzte Woche ertranken 14 Menschen vor der Küste Tunesiens. Weitere 30 Menschen werden vor der libyschen Küste vermisst. Das sind nur die Zahlen der letzten Wochen.

In der Turnhalle in Crotone konnten einige Angehörige Abschied nehmen. In einem Video hört man die Klagerufe einer Frau. Auch die ehemalige Kapitänin des pakistanischen Hockeynationalteams ist unter den Opfern. Shahida Raza, so ihr Name, wollte medizinische Hilfe für ihr kleines Kind organisieren. Deshalb hat sie sich auf den Weg gemacht.

Hinter jeder Zahl über Tote im Mittelmeer steckt am Ende auch immer ein realer Mensch. In den ersten Monaten von 2023 sind es 383 Menschen geworden, die im Mittelmeer ihr Leben verloren haben. Aber an den Toten der letzten Woche trägt auch die italienische Regierung eine Mitverantwortung. Frontex hat die italienische Küstenwache über den Notfall vor der kalabrischen Küste informiert, die aber keine Rettung eingeleitet hat.

Mit diesen Menschen sind auch europäische Werte untergegangen. Und gerade dann, während diese Nachrichten und Bilder um die Welt gehen und Familien trauern, ist es so perfide und gefährlich, wenn der Fraktionsvize der größten Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag im Fernsehen für Pushbacks und die Abkehr von europäischen Werten plädiert. Jens Spahn schlägt vor, Menschen abzufangen und zurückzubringen. Das ist ein Vorschlag gegen Menschenrechte, gegen das Seerecht und einzig und allein dafür gedacht, um keine Flüchtenden aufzunehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Detlef Seif [CDU/CSU]: Das ist nicht gegen das Seerecht!)

Und wenn man diesen Vorschlag zu Ende denkt, dann gäbe es nur einen Weg nach Europa, nämlich im Leichensack. Die Überlebenden würden zurück in die Folterlager nach Libyen gebracht und die Toten nach Sizilien in die Turnhalle zu ihren Angehörigen. In Libyen, wo seit Jahren ein Bürgerkrieg herrscht, in dem um Öl und regionalen Einfluss gekämpft wird, werden Flüchtende zur Ware und in Lagern misshandelt und gefoltert.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Und während im Mittelmeer Menschen ertrinken, die einen sicheren Ort zum Leben suchen, diskutieren wir hier über fehlende Arbeitskräfte und über unbesetzte Ausbildungsstellen, weil wir gerade feststellen, dass wir abhängig sind von Einwanderung. Wir sind im Übrigen schon längst ein Einwanderungsland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der AfD: Hallo?)

Und Sie von der AfD wollen eigentlich nur über die unterschiedliche Wertigkeit von menschlichem Leben reden: über das eine, das es zu retten gilt, und das andere, das Ihnen eher nicht so recht ist. Ich kann der CDU nur raten, nicht wie Jens Spahn der Logik der AfD hinterherzulaufen und auch nicht die Vorschläge der AfD mit etwas Verspätung zu übernehmen. Rhetorik gegen Flüchtende als Kampf gegen rechts ist am Ende eine gefährliche Annäherung. Denn wenn Sie glauben, dass der AfD mit scharfer Rhetorik gegen Schutzsuchende Stimmen abgenommen werden könnten, dann passiert das Gegenteil: Sie legitimieren die Position, Sie stärken sie dadurch.

(Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Sorgen Sie endlich dafür, dass es eine wirksame Brandmauer gegen rechts gibt, gegen die AfD, und nicht, wie Philipp Amthor das beschreibt, eine kleine Linie. Wir brauchen endlich eine Brandmauer Ihrer Fraktion gegen die Rechten in diesem Parlament!

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Mit solchen Reden stärken Sie die AfD! Nicht sehr intelligent!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Und es folgt Rasha Nasr für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)