Rede von Dr. Julia Verlinden Ausbau von Wind- und Solarenergie

08.06.2018

Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Im September 2016 hat der Bundestag die Ratifizierung des Pariser Klimaabkommens beschlossen, eines völkerrechtsverbindlichen Vertrages. Denen, die damals nicht dabei waren, kann ich verraten: Wir haben das hier einstimmig beschlossen.

Aber was folgt nun daraus? Klimaschutzziele – das klingt so theoretisch. Die sind für viele von Ihnen vielleicht nur ein Stück Papier, aber sie sind überlebensnotwendig, und die Klimakrise ist harte Realität für viele Millionen Menschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber für den einen oder anderen von Ihnen ist das offenbar nicht Argument genug, jetzt politische Konsequenzen zu ziehen. Und dieses Zögern von Ihnen ist fatal; denn es ist Insolvenzverschleppung auf Kosten der zukünftigen Generationen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Oft diskutieren wir hier im Bundestag über energiepolitische Details und manchmal auch technische Einzelheiten, aber im Grunde geht es um eine Grundsatzentscheidung, zu der die GroKo offenbar nicht bereit ist, nämlich konsequent die alten Energieformen abzulösen durch neue. Deswegen möchte ich heute mal daran erinnern, was eine fossile und atomare Energieversorgung eigentlich ganz real und Tag für Tag bedeutet.

Gefährlicher Atommüll strahlt Millionen Jahre, und wir wissen immer noch nicht, wohin damit. Dazu das Risiko eines atomaren Unfalls oder Flugzeugabsturzes, jederzeit, mitten in Europa und über anderen dicht besiedelten Regionen. – Ich finde es traurig, dass die FDP darüber lachen kann.

Riesige Löcher bis zum Horizont, weggebaggerte Dörfer mitsamt denkmalgeschützten Kirchen und allem Drum und Dran komplett der Braunkohle zum Opfer gefallen – in der Lausitz und im Rheinischen Revier! Führen Sie mit diesen Menschen doch mal einen Diskurs über Heimat!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Explodierende Ölplattformen im Meer und Tankerunfälle, die ölverschmierte Küsten zurücklassen und dahinsiechende Meerestiere und Vögel! Lukrative Ölquellen, die als Grund genommen werden, Kriege anzuzetteln! Erdbeben und ungeklärte Krankheitshäufungen wie Krebsfälle in den Erdgasregionen in Niedersachsen und auf der ganzen Welt!

Und nachdem Kohle, Öl und Gas aus dem Boden geholt wurden, wenn sie verbrannt werden in den Kraftwerken, in Autos, in Heizungen, dann sind sie mitverantwortlich für Zigtausende Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen allein in Deutschland. Diese dreckigen fossilen Energien, die sind nicht modern, sondern so was von letztes Jahrhundert!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Klimakrise passiert jetzt, auch hier. Letztes Jahr verfaulten die Kartoffeln auf den Äckern. Dieses Jahr ist es viel zu trocken. Die Landwirtschaft spürt die massiven Auswirkungen jetzt. Hören Sie sich mal an, was der weltweit größte Rückversicherer aus München, die Munich Re, zu sagen hat; denn sie muss ja einen Teil der Klimafolgen bezahlen – sofern diese Schäden überhaupt versichert sind –, und sie hat deswegen sehr genau kalkuliert. Die Munich Re sagt, die schweren Unwetter der vergangenen Wochen sind nur Vorboten der Zukunft. Es werde künftig noch häufiger Starkniederschläge und mehr Hitze- und Trockenperioden geben, sagt deren Forschungsleiter für Klimarisiken und Naturgefahren, wie heute im „Tagesspiegel Background“ nachzulesen.

Also: Es gibt viel zu tun. Mit Ihrer GroKo-Entscheidung der letzten Jahre wollen Sie die Zukunftstechnologien der Erneuerbaren begrenzen. Was für eine absurde Entscheidung angesichts der Herausforderung, vor der wir stehen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben mit dieser Entscheidung in der letzten Legislaturperiode eine ganz wichtige Exportindustrie zum Trudeln gebracht, Sie haben zahlreiche Bürgerinnen und Kommunen vor den Kopf gestoßen, Sie haben Investoren abgeschreckt, und Sie haben einen Platz auf dem Treppchen bei der Weltmeisterschaft aufgegeben.

Mit dieser Planwirtschaft, die Sie eingeführt haben, haben Sie sich kräftig verzockt. Das hat die SPD inzwischen erkannt. Deswegen haben Sie im neuen Koalitionsvertrag festgehalten, dass Sie doch noch ein bisschen mehr Erneuerbare wollen. Da versprechen Sie Sonderausschreibungen für Wind- und Solarenergie, die einen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollen. Der Anteil der Erneuerbaren soll bis 2030 auf 65 Prozent steigen. Ja, das bedeutet, dass hier in Deutschland Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden müssen, während die Erneuerbaren ausgebaut werden und ins Energiesparen investiert wird.

Die Punkte aus Ihrem Koalitionsvertrag wären Trippelschritte in die richtige Richtung; dennoch bei weitem nicht genug, um die globale Erhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das lösen wir aber nicht allein in Deutschland!)

– Dazu komme ich noch, Carsten. – Unser Planet hat Fieber, und ich finde es eine Unglaublichkeit, dass hier im Bundestag eine Mehrheit sitzt, die das nur schulterzuckend zur Kenntnis nimmt, die Ausflüchte sucht und behauptet, das ginge nun mal alles nicht so schnell, oder, die anderen sollten erst mal anfangen.

Ich glaube, Sie haben echt den Anschluss an die Debatte verpasst. Sie hören gar nicht mehr zu, was die Mehrheit der Menschen fordert, was Wissenschaftler empfehlen und zusätzlich auch eine stetig wachsende Zahl von Vertretern aus der Wirtschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn die Union will sich selbst diesen kleinen Trippelschritten aus dem Koalitionsvertrag verweigern. Wollen Sie sich eigentlich nun auch in der Energie- und Klimapolitik nach rechts außen anbiedern? Fehlt Ihnen nur der Mut oder gar die Kompetenz, eine wirksame Klimapolitik zu machen?

(Björn Simon [CDU/CSU]: Wir wollen es mit Sachverstand machen!)

Wir Grüne haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ein Ausbau der Erneuerbaren geschafft werden soll, der auch nur in Kombination mit zahlreichen weiteren Maßnahmen, insbesondere im Wärme- und Verkehrssektor, gerade eben dazu ausreicht, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Dazu brauchen wir gleichzeitig massive Anstrengungen bei der Energieeinsparung und dabei endlich auch messbare Erfolge. Das können Sie in zahlreichen Energieszenarien lesen, jüngst in denen des BDI und der dena. Die sind es nämlich, die Ihnen inzwischen ausrechnen, wie stark wir in den kommenden Jahren in den Ausbau investieren müssen, die sagen, dass sie mehr von Ihnen erwarten, und die klipp und klar sagen: Versetzung gefährdet, Herr Wirtschaftsminister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Statt nur auf den Netzausbau zu warten und in der Zwischenzeit Windenergieanlagen abzuschalten, können wir den Ökostrom auch direkt vor Ort sinnvoll für Anwendung in der Wärme oder Mobilität nutzen. Wir müssen uns endlich darum kümmern, die fossilen Must-run-Kapazitäten zu reduzieren. Unser vorliegender Antrag zum Stromnetz enthält diese und weitere für die Verbesserung der Netzsituation wichtige Punkte.

Wir können die Atomgesetznovelle, die wir hier auch gleich noch diskutieren werden, dazu nutzen, die netzverstopfenden Atomkraftwerke Emsland und Brokdorf im Netzengpassgebiet in Norddeutschland früher abzuschalten und damit Platz für Ökostrom zu schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen des Abg. Karlheinz Busen [FDP])

Übernehmen Sie doch endlich Verantwortung! Lassen Sie uns unseren Gesetzentwurf im Ausschuss vernünftig diskutieren und Ihre wahnsinnige GroKo-Vollbremsung bei der Energiewende korrigieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)