Robin Wagener MdB
25.01.2023

Robin Wagener (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf diese sowohl Putin- als auch Lukaschenka-Propagandarede gehe ich gar nicht erst ein. Dafür bräuchte ich mehr als meine komplette Redezeit; das war so viel Groteskes.

Ich will Ihnen lieber stattdessen von Paulina erzählen. Paulina ist ein vierjähriges Mädchen. Sie lebte mit ihren Eltern in Baranawitschy, einer Stadt südwestlich von Minsk. Der Vater von Paulina ist Ihar Losik. Ihar ist Journalist und eines der bekanntesten Gesichter der belarussischen Demokratiebewegung. Ihar wurde im Juli 2020 verhaftet, weil er sich für faire und freie Präsidentschaftswahlen eingesetzt hat. Da war Paulina gerade einmal zwei Jahre alt. Paulina hat ihren Vater seitdem ein einziges Mal gesehen – im Gefängnis, hinter einer dicken Glasscheibe, für eine Umarmung unerreichbar.

Ihar wurde im Dezember 2021 in einem Schauprozess des Regimes zu 15 Jahren Haft verurteilt. Das Regime will ihn mundtot machen. Aber das Gegenteil ist passiert. Es gab und gibt sehr viele laute Stimmen, die sich für Ihars Freilassung, für Ihars Ziel eines demokratischen Belarus einsetzen, und eine der lautesten Stimmen und die mutigste davon war immer die seiner Frau Darya, der Mutter von Paulina.

Im letzten Oktober, vor knapp drei Monaten, wurde Darya in den frühen Morgenstunden in ihrer Wohnung verhaftet. Sie und Paulina schliefen noch. Paulina musste mit ansehen, wie ihre Mutter von Männern in Schwarz mitgenommen wurde. Wir können nur erahnen, wie sehr und wie schmerzhaft diese Eindrücke Paulinas Leben prägen werden.

Darya wurde letzte Woche zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie sich unermüdlich für die Freiheit ihres Mannes eingesetzt hat, und Paulina lebt nun bei ihren Großeltern. Sie hat ihre Mutter seit der Verhaftung nicht mehr gesehen. Lukaschenka hat der kleinen Paulina das Wichtigste in ihrem Leben genommen: die tägliche Geborgenheit ihrer Eltern, ihren Halt und ihre kleine Welt. – Das ist die menschenverachtende Politik von Diktator Lukaschenka.

Zurzeit sitzen laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation Viasna über 1 400 politische Gefangene unschuldig im Gefängnis; der Kollege hat gerade schon darauf hingewiesen. Über Hundert von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben parlamentarische Patenschaften übernommen, um auf diese Gefangenen aufmerksam zu machen. Das ist wichtig, und das ist seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine noch wichtiger; denn wir dürfen und werden die belarussische Opposition nicht vergessen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])

Swetlana Tichanowskaja, Maria Kalesnikawa, Ales Bjaljazki und viele weitere mehr hatten im Sommer 2020 den Mut, sich gegen die vermeintlich letzte Diktatur in Europa aufzulehnen. Sie wollten durch faire und freie Wahlen, durch friedlichen Protest die Diktatur von Lukaschenka beenden. Wir wissen leider, dass es anders kam. Lukaschenkas Schergen prügelten die Opposition brutal nieder, sperrten sie ein, drängten sie ins Exil. So viele bezahlten den Protest mit ihrem Leben.

Lukaschenka hat im Sommer 2020 seine historische Chance verpasst. Er hat sich für Terror statt Demokratie, für Angst statt Freiheit, für Putins Diktatur statt demokratische Öffnung entschieden.

Am 24. Februar des letzten Jahres haben russische Truppen von Belarus aus die Ukraine angegriffen. Von belarussischem Boden aus wurden seitdem wiederholt Raketen auf ukrainisches Territorium geschossen, und erst vergangenen Monat fand ein gemeinsames Militärmanöver russischer und belarussischer Luftstreitkräfte statt. Es besteht überhaupt kein Zweifel: Diktator Lukaschenka unterstützt Putin in seinem brutalen Krieg gegen die Ukraine. Er ist zur Marionette des Kremls geworden.

Aber Hunderte belarussische Oppositionelle haben sich der ukrainischen Armee angeschlossen; sie haben ein eigenes Regiment aufgebaut. Sie helfen, die Ukraine zu verteidigen; denn sie sind überzeugt: Nur mit einer freien Ukraine ist auch ein freies Belarus möglich.

Deshalb dürfen wir nicht müde werden, die Ukraine und die belarussische Demokratiebewegung zu unterstützen. Wir dürfen nicht nachlassen, solidarisch an ihrer Seite zu stehen, in Wort und Tat. Dafür braucht die Ukraine die notwendigen Mittel für den so wichtigen Sieg, in wirtschaftlicher, in humanitärer und eben auch in militärischer Hinsicht, und da bin ich sehr dankbar für die ganz aktuellen Entscheidungen, für die starke Unterstützung des Bündnisses.

Aber lassen Sie uns auch, solange es nötig sein wird, die belarussische Demokratiebewegung unterstützen. Es war und ist richtig, dass wir humanitäre Visa an politisch Verfolgte bereitstellen, dass wir zwangsexmatrikulierte Studierende, Wissenschaftler/-innen und die Arbeit von unabhängigen Medien unterstützen.

Lukaschenka und seine Schergen müssen für ihre Verbrechen vor Gericht gestellt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)

Wir sollten die Sanktionen gegen das belarussische Regime immer wieder überprüfen und Schlupflöcher gegebenenfalls schließen.

Wann immer wir uns mit harter Kritik gegen das Regime wenden, müssen wir gleichzeitig klarmachen, wer für uns wirklich für Belarus steht. Es sind die mutigen Menschen der demokratischen Zivilgesellschaft, es sind diejenigen, die im Land unter großen Gefahren oder im erzwungenen Exil für die Freiheit ihres Landes, für Demokratie und Freiheit streiten. Diesem Belarus in Weiß-Rot-Weiß gilt unsere volle Unterstützung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Auch deshalb dürfen wir nicht nachlassen, uns weiter für die Freilassung aller politischen Gefangenen einzusetzen. Das sind wir Paulina schuldig.

Kinder brauchen ihre Eltern. Europa braucht ein demokratisches Belarus. Europa braucht eine befreite Ukraine. Die Menschen brauchen Freiheit.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Wagener. – Das Wort hat jetzt der Kollege Thomas Lutze, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)