Rede von Manuel Sarrazin Bergkarabach
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass nicht mehr geschossen wird. Aber Elemente von Krieg sind immer noch vorhanden, sie bleiben: Flucht, Angst, Vertreibung, Zerstörung, Feuer. Das wird meiner Ansicht nach im Antrag der Koalition nicht genügend gewürdigt.
Diese Vereinbarung, dieser Waffenstillstand, ist eine gefährliche Vereinbarung. Sie verletzt die völkerrechtlichen Prinzipien des Gewaltverzichts. Sie missachtet das Prinzip der multilateralen Konfliktlösung als Mittel der Wahl für die Lösung sowohl kurz- wie langfristig. Sie verletzt das Prinzip der Aussöhnung als Grundlage für einen dauerhaften Frieden. Sie verletzt aber auch die Madrider Prinzipien, Herr Löbel, durch eine andere Beziehung in Bezug auf die vorherige autonome Region Bergkarabach. Und sie schützt neue Prinzipien, nämlich Revanchismus und Nationalismus, die einseitige Rückkehr von Vertriebenen von vor 23 Jahren, die Gewalt als Mittel der Politik in der Östlichen Partnerschaft und nicht zuletzt die Unterminierung der Reformpolitik in Armenien.
Dieser Waffenstillstand ist gut, weil nicht mehr geschossen wird, aber insgesamt gefährlich und der falsche Weg für einen dauerhaften Frieden in der Region.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Andreas Nick [CDU/CSU])
Was ist passiert? Die EU ist abgemeldet; Frau Alt hat es zutreffend dargestellt. Der Kreml hat Fakten geschaffen, wie Herr Gysi richtig dargestellt hat. Aber es gab einen Moment, wo auch die russische Regierung nicht in der Lage war, Zugriff auf beide Parteien zu haben. In diesem Moment hat Europa darauf verzichtet, selber tätig zu werden.
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Richtig!)
So ist Putin der wahre Sieger dieses Krieges. Die Steigerung des russischen Einflusses auf beiden Seiten des Konflikts ist das Resultat. Das ist schlecht für die europäischen Interessen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Seien wir doch mal ehrlich: Können wir es wirklich zulassen, dass in der Östlichen Partnerschaft als Konkurrent Russlands nicht die EU, sondern die Türkei auftritt? Ist es unser Interesse, die Rolle der Konkurrenz zu russischen Großmachtinteressen im südlichen Kaukasus der Türkei zu überlassen? Oder ist es notwendig, dass auch wir dort im Sinne europäischer Souveränität aktiver werden?
Verlierer sind die Menschen in der Region. Es droht in diesem Winter – das wurde richtig dargestellt – eine schwere humanitäre Notlage. Verlierer sind auf allen Seiten aber auch diejenigen, die für Versöhnung und Frieden eingetreten sind. Auf beiden Seiten sind jetzt die Nationalisten und die Hardliner tonangebend. Verlierer ist aber auch die Hoffnung auf Reform und Demokratie, vor allem in Armenien.
Deswegen – ich komme zum Schluss, Herr Präsident – möchte ich festhalten: Für die Bundesregierung muss jetzt gelten: Die Samtene Revolution in Armenien darf nicht umsonst gewesen sein! Dieser Frieden à la Putin darf nicht zum Ergebnis haben, dass die Hoffnung auf Demokratie zu beerdigen ist.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank, Herr Kollege Sarrazin. – Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Johann Saathoff, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)