Rede von Dr. Anja Reinalter Berufliche Bildung

Prof. Dr. Anja Reinalter
11.05.2023

Dr. Anja Reinalter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Meister und insbesondere liebe Meisterinnen! Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Die AfD stellt also fest, dass es zu wenig Meister gibt. Ist Ihnen schon aufgefallen, dass sich dieser Antrag null Komma null an Frauen richtet? Dass Sie die Hälfte der Bevölkerung gar nicht ansprechen,

(Nicole Höchst [AfD]: Sie sind Sexist!)

zeigt, dass Sie das Problem gar nicht lösen wollen und nicht lösen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Nicole Höchst [AfD]: Frauen sind die größten Sexisten!)

Auch ansonsten ist der Antrag inhaltlich schwach und handwerklich schlecht. Es wundert Sie nicht: Wir lehnen ihn ab.

Aber interessant ist schon, wie unterkomplex die AfD die Fachkräftekrise diskutiert.

(Nicole Höchst [AfD]: Bundesrat! Sie reden über den Bundesrat!)

Wir haben im Koalitionsvertrag doch längst vereinbart, die Kosten für die Meisterkurse zu senken. Von uns aus kann der Meisterbrief auch gern, genauso wie ein Studium, kostenfrei sein; so steht es auch in unserem grünen Wahlprogramm.

(Nicole Höchst [AfD]: Ja, seit zwei Jahren!)

Uns geht es dabei um die Gleichwertigkeit akademischer und beruflicher Bildung.

(Tino Chrupalla [AfD]: Macht erst mal einen Schulabschluss! Ihr habt ja noch nicht mal einen Abschluss!)

Darum müssen wir viel mehr über die Wertschätzung und Anerkennung der beruflichen Bildung reden. Denn: Wer baut die Wärmepumpe ein?

(Tino Chrupalla [AfD]: Ja, wer?)

Wer repariert die kaputte Scheibe? Wer backt das Brot? Wer installiert am Ende die Photovoltaikanlage? Ja, das sind alles Frauen und Männer, die eine Ausbildung in der Tasche haben und täglich anpacken. Sie sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Dafür herzlichen Dank!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wo stünden wir ohne sie? Denken Sie nur an eine kaputte Scheibe. Da merken Sie sofort, wie unersetzlich das Handwerk ist.

Ja, das alles sind Berufe, die heute schon gravierend vom Fachkräftemangel betroffen sind. Der Fachkräftemangel ist definitiv in jeder Branche angekommen; er ist eine der größten, wenn nicht gar die größte innenpolitische Krise, die wir zu bewältigen haben. Dabei haben wir noch gar nicht über den demografischen Wandel gesprochen; denn wenn 2035 die Babyboomer in Rente sind, werden 7 Millionen Fach- und Arbeitskräfte fehlen. Das Problem ist schon längst erkannt und hätte viel, viel früher angepackt werden müssen. Dies tun wir jetzt durch:

Erstens: mehr Frauen. Wir könnten sofort 840 000 Vollzeitstellen besetzen, wenn Frauen, die Kinder im Alter von unter sechs Jahren haben, so viel arbeiten könnten, wie sie gern arbeiten würden, wenn ihre Kinder sicher betreut wären.

(Nicole Höchst [AfD]: Ist das so?)

Deswegen stärkt die Ampel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, und zwar mehr denn je.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Nicole Höchst [AfD]: Das ist ein Märchen!)

Außerdem ermöglichen wir mehr Weiterbildung, auch in Teilzeit. Wir halten an der Bildungsteilzeit fest und werden gerade Frauen neue Karrieremöglichkeiten eröffnen; denn Weiterbildung und Kinder sind kein Widerspruch, sondern die Lösung für mehr erwerbstätige Frauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Zweitens: mehr Ausbildung. 2,6 Millionen junge Menschen im Alter zwischen 20 und 35 stehen ohne formalen Berufsabschluss da. Das sind 2,6 Millionen zu viel. Diese jungen Menschen sind heute noch ganz weit weg davon, Meister oder Meisterin zu werden. Diese jungen Menschen brauchen erst mal einen Ausbildungsplatz und einen Abschluss. Das sind 2,6 Millionen potenzielle Fachkräfte, die uns schon heute fehlen. Ihnen ebnen wir mit der Ausbildungsgarantie den Weg ins Berufsleben.

Und drittens: mehr Fachkräfteeinwanderung. Wir brauchen mehr Fachkräfte und wissen alle, dass wir sie nicht mehr innerhalb unserer Grenzen finden werden. Aber das ist Teil des Problems der Antragsteller/-innen; denn wer nur in Grenzen denkt, denkt eben nur begrenzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Nicole Höchst [AfD]: Das ist vom Bundesrat, Frau Kollegin!)

Wer den Fachkräftemangel ernsthaft angehen will, der muss sich zu einer moderneren Einwanderungspolitik bekennen. Das machen wir. Wir tun alles dafür, dass unser Land ein freundliches und attraktives Einwanderungsland wird. Wir tun alles dafür, ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Tino Chrupalla [AfD]: Das sieht man ja! Das klappt ja wunderbar! – Martin Reichardt [AfD]: Es kommt doch zu Ihnen gar keiner!)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich frage mich immer wieder – das fragen Sie sich vielleicht auch –, wie es überhaupt so weit kommen konnte.

(Nicole Höchst [AfD]: Oh ja!)

Wem haben wir es zu verdanken, dass wir so tief in der Krise stecken?

(Mike Moncsek [AfD]: Rot-Grün! – Nicole Höchst [AfD]: 68er!)

Wer ist eigentlich verantwortlich dafür? Auf wen muss gezeigt werden, wenn es darum geht,

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: 16 Jahre!)

dass wir in den letzten Jahren die Zuwanderung der Fachkräfte aus dem Ausland verschlafen oder überhaupt nicht zugelassen haben?

(Mike Moncsek [AfD]: Rot-Grün!)

Richtig: Die Fachkräftekrise ist die Bilanz von 16 Jahren verpasster Chancen.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Endlich! Das hat aber lange gedauert!)

Sie ist die Bilanz Ihrer Politik

(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Mensch, Mensch, Mensch!)

– ja, Mensch, Mensch, Mensch –:

(Stephan Albani [CDU/CSU]: Das ist doch peinlich!)

Ideologie in der Fachkräftepolitik, anstatt die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand zu sichern. Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Martin Reichardt [AfD]: Dann zeigen Sie doch mal einen Prospekt, wie das geht! – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Dafür haben Sie sieben Minuten gebraucht!)

Aber das hilft nicht; denn das ist Ihre Bilanz. Ich kann nur sagen: Schlecht gedacht und noch schlechter gemacht.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Na, der Fortschritt wird es jetzt lösen!)

Zum Schluss zitiere ich gerne wieder meine Tochter, die zu Ihrer Fachkräftepolitik sagen würde: Danke für gar nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Nicole Höchst [AfD]: Wir schaffen das!)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die FDP-Fraktion hat das Wort Ria Schröder.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)