13.12.2018

Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist jetzt der zweite Europäische Rat ohne Regierungserklärung. Das ist auch nicht ersetzbar durch eine Fragestunde, wie wir sie gestern hatten, wo drei Minuten über den Rat geredet wurde. Daher finden wir es richtig, dass die FDP einfordert, es fester und verpflichtender zu etablieren, dass vor den Räten und danach hier im Haus debattiert werden muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Wenn man sich den Brexit anschaut, dann ist das ein einziges Trauerspiel, über das sich nur noch Zyniker oder Nationalisten freuen können. Wahrscheinlich ging es Ihnen allen gestern Abend so wie mir. Ich war erleichtert darüber, dass May das Misstrauensvotum überstanden hat. Es ist irgendwie schon absurd, dass man sich darüber freut und denkt: Eine Verrücktheit weniger, es bleiben nur noch die von Montag, dem 10. Dezember, die ja auch schon alle unlösbar sind. Das ist der Zustand der Verrücktheit, den wir gerade auf der britischen Insel haben.

Was will Frau May? Alles, was wir bis jetzt gehört haben, ist, dass sie die rechtliche Zusicherung haben möchte, dass der Backstop nicht dauerhaft gilt oder – das ist das andere, was man hört – dass der Backstop nur in Kraft treten kann, wenn das Unterhaus darüber noch mal abgestimmt hat. Da kann ich nur sagen: Beides wäre der Wahnsinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU])

Worum geht es denn eigentlich? Es gab den Konflikt, den Krieg, zwischen Irland und Nordirland, der zum Glück beendet wurde. Dieser Frieden hat einiges mit der Europäischen Union zu tun; auch wenn es einige auf der Insel erst jetzt entdecken oder erst jetzt bereit sind, darüber zu reden. Dass der Frieden möglich ist, hat viel damit zu tun, dass es zwischen Nordirland und Irland keine Grenzen gibt. Und es ist auch ein vitales Interesse von Irland und der Europäischen Union, diese offene Grenze zu behalten, damit es nicht wieder zu Konflikten, zum Krieg, auf der Insel kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Katarina Barley [SPD])

Jetzt sagen manche: Na ja, das ist doch nicht so schlimm, dann gibt es keinen Deal, dann ist es halt so wie mit der Schweiz. – Nein, es ist eben nicht so wie mit der Schweiz. Wie wäre denn die Grenze zwischen Nordirland und Irland? Sie wäre so wie zwischen der Europäischen Union und Russland; das wäre die Situation, in der sich Nordirland und Irland befinden würden. Und das geht eben nicht, das haben die Iren und die Europäische Union ganz klar gesagt. Und das ist auch richtig so.

Was würde es bedeuten, würden wir einfach sagen: „Die Grenzen bleiben offen“? Das ist das, was die Briten häufig sagen: Dann lasst halt die Grenzen einfach offen. – Na ja, dann kann von Schweinepest bis Waffen alles in die Europäische Union reinkommen, ohne dass es irgendjemand kontrolliert hat. Das ist auch nicht im Interesse der Europäischen Union.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen haben wir einen sogenannten Backstop, der bedeutet: Es ist eine offene Grenze, Nordirland und UK bleiben Teil einer Zollunion, und Nordirland hält sich an einen Teil der Binnenmarktregeln. Das ist unserer Meinung nach schon ziemlich schwach ausgerichtet; aber es ist immerhin eine Antwort. Das ist aber nur die Antwort, wenn wir mit den Briten keine bessere finden. Das Ziel ist natürlich, dass man sich am Ende auf eine bessere Vereinbarung einigen kann, zum Beispiel wie mit Norwegen oder der Schweiz. Aber falls wir uns nicht einigen können, ist das unsere Rückversicherung – im schlechtesten Fall kommt das.

Was macht May? Ich vergleiche es mal mit einer Brandschutzversicherung. Frau May sagt: Wir haben jetzt eine Brandschutzversicherung abgeschlossen, aber in den AGBs steht drin, dass, wenn das Haus wirklich brennt, der Chef der Versicherung entscheiden kann, ob die Versicherung auch wirklich gilt. – Dazu kann ich nur sagen: Das können Sie sich in die Haare schmieren. Das ist dann keine Versicherung mehr, sondern nur noch ein Ausnutzen der europäischen Solidarität. Das geht nicht, sehr geehrte Frau May.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Europäische Union darf nicht das vitale Interesse eines Mitgliedslandes über die Interessen von verrückten Tories oder einem unverantwortlichen Corbyn stellen. Das wäre doch der Wahnsinn, wenn die EU jetzt bereit wäre, diese Interessen preiszugeben für etwas, bei dem man noch nicht mal sicher ist, dass May am Ende dafür eine Mehrheit in ihrem Haus hätte. Das wäre doch der absolute Wahnsinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Florian Hahn [CDU/CSU])

Daher, Herr Maas, bin ich wirklich der festen Überzeugung, dass da rechtlich nichts verändert werden darf. Sie können politisch noch zehnmal deklarieren, dass es für uns nur eine Versicherung ist und dass wir eigentlich etwas Besseres wollen; aber die Versicherung muss auch wirklich als Versicherung gelten. Alles andere wäre für die Europäische Union einfach nur fahrlässig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist übrigens interessant, warum das so schwierig ist: Die Briten wollen rausgehen aus diesem Haus, aber gleichzeitig drin wohnen bleiben. Das ist wie mit einem Teenager, der mit 18 auf Randale aus ist und sagt: „Jetzt aber raus, ich möchte Kontrolle über mein Leben haben, alles alleine machen“, aber auch sagt: „Mama und Papa, also, wenn ihr noch die Versicherung weiter für mich zahlt und irgendwie guckt, dass ich weiterhin ein Dach über dem Kopf habe, und zum Essen würde ich ab und zu auch gerne bei euch vorbeischauen, so am Sonntag, in gemütlicher Runde. Ginge das?“

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und Wäsche waschen!)

Das ist die Situation, die wir haben. Da kann ich den Briten nur sagen: Das macht es halt schwierig. Ihr könnt gerne weiter sonntags mit uns essen, und wir sind gerne bereit, euch Sicherheit mit zu garantieren; alles möglich. Aber was nicht geht, ist, dass ihr am Sonntag abhaut, ohne den Tisch mitabgeräumt zu haben. Ihr könnt nicht alle Rechte haben und keine Pflichten. Das geht nicht, in einer Familie nicht und in der Europäischen Union auch nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das haben wir bis jetzt auch immer durchgezogen, mit der Schweiz, mit Norwegen. Wir haben gerade einen großen Konflikt mit der Schweiz. Ich kann Ihnen sagen: Die Schweizer gucken sehr genau, was gerade mit den Briten passiert. Die warten nämlich nur darauf, dass wir Sonderausnahmen für die Briten machen. Dann werden die Schweizer sagen: Das hätten wir auch gerne. Und dann werden die Norweger kommen und sagen: Das hätten wir auch gerne. Und dann kommt Le Pen und sagt: Das hätte ich auch gerne. – Das ist das große Risiko. Deswegen darf es da keine Rabatte geben, keine Rosinenpickerei. Wir müssen unseren Kontinent retten, unsere Europäische Union. Auf Wahnsinn darf man nicht mit Wahnsinn antworten, sonst kriegt man nur noch mehr Wahnsinn.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist der grüne Wahnsinn!)