Rede von Britta Haßelmann GO-Änderung - Fragestunde u. Regierungsbefragung

21.02.2019

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es nicht so ein wichtiges Thema wäre, könnte man ja einfach sagen: Okay, auch da haben die Koalitionsfraktionen mal wieder einen Fehler gemacht. Aber wir reden seit Jahren im Deutschen Bundestag darüber, auch in den Fraktionen und den Parteien, wie es eigentlich gelingen kann, dass dieses Parlament ein lebendiges Parlament ist, das um Antworten ringt, das sich auseinandersetzt, das um die besten Konzepte, Ideen, Gesetzentwürfe und Anträge ringt. Wie kann das besser für die Öffentlichkeit transportiert werden? Wir reden darüber, wie wir die Menschen eher erreichen mit unseren Argumenten, wie vielleicht auch der lebendige Streit und die Auseinandersetzung im Sinne von politischer Streitkultur zwischen Regierung und Opposition, zwischen den Fraktionen deutlich wird. Und was machen Sie? Sie liefern heute hier einen Reformvorschlag für die Regierungsbefragung ab, der eigentlich nichts anderes ist als ein kleines Schonprogramm für diese Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn es nicht so ernst und wenn es nicht so wichtig wäre, weil wir alle unter Legitimationsdruck stehen, weil wir alle unter dem Druck stehen, endlich klarer darzulegen, worum wir hier ringen in den unterschiedlichen Themenbereichen, dann könnte man sagen: So what. Aber das kann man leider nicht. Das größte Problem ist, finde ich, dass Sie sich jetzt dafür auch noch feiern. Meine Damen und Herren, die meisten von Ihnen, die heute geredet haben, habe ich seit Monaten nicht in einer Regierungsbefragung gesehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, weshalb Sie glauben, dass Sie mit Ihren Vorschlägen irgendeine Art von Reform erreichen. Ich muss gar nicht Herrn Professor Dr. Lammert zitieren. Ich muss auch nicht Herrn Dr. Schäuble zitieren. Wir alle miteinander wissen, dass das, was Sie hier vorschlagen, ein Programm ist, der Regierung es so bequem wie möglich zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich hatte erwartet, dass einfach eine gewisse Souveränität, eine gewisse Größe, ein gewisses Selbstbewusstsein aus Ihnen allen heraus spricht, dass Sie Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und sich nicht von der Regierungsbank diktieren lassen wollen, wann die Damen und Herren mal Zeit haben, ins Plenum zu kommen. Meine Damen und Herren, es ist doch keine Zumutung,

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ein bisschen kämpferisch!)

wenn man der Regierung sagt: Für eine Stunde in der Woche, zur Primetime, kommt ihr hier in dieses Parlament und steht diesem Parlament Rede und Antwort. Wo liegt eigentlich die Zumutung? Warum ist eigentlich ein Termin bei der Caritas oder bei Greenpeace

(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gegen die Caritas? – Sepp Müller [CDU/CSU]: Was haben Sie denn gegen Greenpeace?)

oder beim Arbeitgeberverband wichtiger einzuschätzen als eine Präsenz hier im Parlament, für eine Stunde in der Woche?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, auf dieses Argument haben Sie keine Antwort. Dann gehen Sie jetzt auch noch hin und feiern sich für den Vorschlag, die Regierungsbefragung auf 60 Minuten auszuweiten. Das praktizieren wir schon längst. Wer in den letzten Wochen und Monaten im Parlament war, weiß, dass wir längst 60 Minuten Zeit haben bei der Regierungsbefragung. Die Frage, ob die Kanzlerin kommt, ist doch auch geklärt. Sie kommt. Dafür brauchen wir keine Änderung der Geschäftsordnung.

Jetzt gehen Sie aber auch noch hin, wahrscheinlich auf Druck der Ministerinnen und Minister, und erklären Parlamentarische Staatssekretäre zum Vertretungsorgan für die Bundeskanzlerin und die Regierungsmitglieder. Dabei sind die nicht Teil einer Regierung. Was machen die eigentlich hier in der Regierungsbefragung?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der AfD)

Warum strömt aus Ihnen nicht mehr Selbstbewusstsein? Die Verantwortung, von der ich gesprochen habe, haben wir doch alle miteinander. Machen Sie es sich doch nicht so bequem, in dem Sie uns hier ein paar Vorschläge auftischen, die keine neuen Vorschläge sind. Herr Sensburg, Sie wissen es doch ganz genau. Wann waren Sie denn das letzte Mal in einer Regierungsbefragung?

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Mittwoch!)

Ich habe Sie lange nicht gesehen. Das ist doch etwas total Langweiliges. Schauen Sie mal in andere europäische Länder, was für eine Institution dort die Regierungsbefragung ist. In Spanien, in Großbritannien, in vielen anderen Ländern ist das ein Informationsinstrument, ein Kontrollinstrument und auch ein Instrument der parlamentarischen Auseinandersetzung.

Die Chance, wirklich etwas zu ändern, meine Damen und Herren, vergeben Sie heute mit Ihrem mickrigen Vorschlag auf jeden Fall. Also sprechen Sie bitte nicht von Reformen, wenn Sie das heute beschließen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD)