Foto von Katrin Göring-Eckardt MdB
02.12.2022

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, ich mute Ihnen auch noch einen Einzelfall zu,

(Heiterkeit des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Samuel D. nämlich.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Ja, Samuel! Genau! Der ist repräsentativ!)

Er lebt seit zwölf Jahren in Deutschland, er arbeitete jahrelang für die DHL und stand auf eigenen Beinen. Als er aus seinem Herkunftsland Äthiopien endlich einen Pass bekam, endete sein Alltag abrupt.

(Beatrix von Storch [AfD]: Hören Sie auf, Leute zu instrumentalisieren!)

Statt die in Aussicht gestellte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, verbot ihm die bayerische Ausländerbehörde, weiterzuarbeiten, und entzog ihm seine Duldung. Jetzt droht ihm die Abschiebung.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Immer diese lächerlichen Einzelfälle als Rechtfertigung! – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ja! Gucken Sie in die Statistik!)

– Lächerliche Einzelfälle? Meine Damen und Herren, Herr Baumann, das ist ein Mensch, der in unserem Land lebt, der hier gearbeitet hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Das ist ein Einzelfall? Gucken Sie in die Statistik! Sie haben die Verantwortung für das Land!)

Das ist nicht lächerlich.

Dieser Samuel D. hat übrigens auch leider deswegen Pech gehabt, weil er in Bayern lebt. Ein paar Kilometer weiter, nämlich in Thüringen, hat man Anfang des Jahres entschieden, dass man auf das Chancen-Aufenthaltsrecht wartet, und hätte ihm ermöglicht, weiter hier bei uns zu arbeiten und auf eigenen Beinen zu stehen.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Der lebt von der Stütze! Der lebt von unserem Geld!)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht entscheiden wir uns für die Wirklichkeit. Und ja, das ist ein Signal, so wie beim Staatsbürgerschaftsrecht. Wir passen die Gesetze an die Einwanderungsgesellschaft an. Darum geht es: anzukommen im Hier und Heute. Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben gerade in diesen letzten Wochen das Gegenteil versucht. Sie haben nach dem Motto „Was wir in den 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahren falsch gemacht haben, das machen wir jetzt noch mal falsch“ gehandelt, aber aus „ein paarmal falsch“ wird nicht richtig, sondern es bleibt falsch. Was wir brauchen, ist ein Einwanderungsrecht, ein Asylrecht und ein Chancen-Aufenthaltsrecht, das der Wirklichkeit, dem Hier und Heute in unserem Land gerecht wird, meinen Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vielleicht glauben Sie ja, dass Sie damit die Identitätskrise in den eigenen Reihen irgendwie bewältigen können. Aber es geht doch hier um unser Land. Die eigenen Leute sagen Ihnen: Der Kaiser ist gerade nackt. – Deswegen brauchen wir klare und deutliche Antworten; deswegen brauchen wir Antworten, die wirtschaftlich vernünftig sind. Das haben gestern und heute schon viele gesagt. Und ich verstehe nicht, auch heute Morgen noch nicht, wie Sie die ganze Zeit Signale nach dem Motto „Das ist uns egal, was die Unternehmen sagen; es ist uns egal, was die Unternehmen brauchen“ aussenden können.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das hat kein Mensch gesagt!)

Mir könnte es egal sein, dass Sie das sagen. Aber ehrlich gesagt: Sie arbeiten daran, dass nicht nur der Ruf Deutschlands in der Welt

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Also, das ist ja wirklich völlig absurd! Völlig absurd!)

bei all denen, die überlegen, nach Deutschland zu gehen und dort ihr Glück zu versuchen, und die wir brauchen, beschädigt wird, sondern dass die Leute sagen: Nee, dann gehen wir lieber woandershin;

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Mit Verlaub: Das ist Schwachsinn, was Sie da erzählen!)

woanders sind wir willkommen, woanders können wir arbeiten, woanders können wir zum Wohlstand beitragen.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Völlig absurd! Nehmen Sie mal die Realität zur Kenntnis!)

Das ist das Problem, das Sie haben, aber das Sie auch diesem Land machen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Frau Göring-Eckardt, lassen Sie eine Frage aus der AfD-Fraktion von Frau von Storch zu?

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich glaube, lieber nicht. Nein.

(Beatrix von Storch [AfD]: Das war klar!)

Es gibt noch einen zweiten Punkt, der mich noch mehr verwundert. Es handelt sich um Menschen, die sich für unser Land entschieden haben. Sie finden es gut hier. Die finden gut, was wir hier machen. Deswegen sagen sie: Wir wollen Teil davon sein. Wir wollen Teil des demokratischen Gemeinwesens sein. – Sie arbeiten hier ehrenamtlich und kümmern sich um andere. Das sind Leute, die tragen zum Wohlstand unseres Landes bei. Denen sollten wir doch als Land das Signal aussenden: „Ja, herzlich willkommen und vielen Dank, dass ihr zu unserem Wohlstand beitragen wollt“, statt zu sagen: „Ach nee, eigentlich lieber nicht“. Und genau das machen wir mit dem Gesetz heute und hier, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Zwei von drei Unternehmen sagen: Ja, es ist gut, dass wir Geflüchtete beschäftigen. Ja, das führt zu einem positiven Betriebsklima. Das sind Leute, die sich mehr anstrengen als viele andere. – Deswegen, anders als viele Kritikerinnen und Kritiker behaupten, sei auch noch mal klar gesagt: Es geht nicht darum, dass Leute jahrelang abwarten, sondern darum, dass die Motivation steigt, hier Dinge zu tun. Die geflüchteten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen bei den Unternehmen verdammt hoch im Kurs.

Beim Chancen-Aufenthaltsrecht geht es um pragmatische und zeitgemäße Lösungen. Und es geht darum, wie wir den Menschen entgegentreten, die sich hier etwas aufbauen wollen, die hier gemeinsam mit uns etwas aufbauen wollen. Die Frage ist: Machen wir es ihnen schwer, oder haben wir das gleiche Ziel vor Augen, nämlich Deutschland gemeinsam zu einem Chancenland zu machen? Wir entscheiden uns dafür, dass wir ein Land der Chancen sein wollen. Ich sage: Die Einladung steht. Das heute ist erst der Anfang. Die Einladung an Sie steht, meine Damen und Herren. Nach gestern Abend muss man vielleicht sagen: Lassen Sie uns doch lieber Weltmeister der Chancen werden. Dieses Land und seine Menschen haben es verdient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner ist der fraktionslose Abgeordnete Robert Farle.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Zurufe: Oh!)