Rede von Linda Heitmann Chronisches Erschöpfungssyndrom ME/CFS

Linda Heitmann
19.01.2023

Linda Heitmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! ME/CFS, das ist eine tückische Krankheit, und das ist eine niederschmetternde Diagnose. Trotzdem – das muss man sagen – sind viele Betroffene dankbar, wenn sie die korrekte Diagnose überhaupt erst mal haben und wissen, dass ihre Erkrankung einen Namen hat. Denn die Diagnose ist nicht einfach; sie ist langwierig. Viele Krankheitsbilder müssen dafür ausgeschlossen werden.

Leider erleben es Betroffene immer und immer wieder, dass sie falsch diagnostiziert werden, dass ihnen und ihren Angehörigen nicht geglaubt wird und dass ihnen auch falsche Therapieansätze empfohlen werden. Der einfache Rat: „Treiben Sie doch mal mehr Sport, dann kommen Sie wieder auf die Beine“ ist ein klassisches Beispiel dafür, weil er am Ende zu einer Verschlimmerung dieses Krankheitsbildes führt. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mich frustriert es zutiefst, dass es vielen Tausend Menschen in Deutschland und ihren Angehörigen gerade so ergeht, dass sie hier immer wieder verzweifeln.

Gerade jetzt, wo ME/CFS immer häufiger auch als Folge von Covid-Infektionen auftritt, werden die Betroffenen endlich sichtbarer. Heute fand eine große Kundgebung statt. Ich war mit meinem Kollegen Johannes Wagner dort, habe mit den Betroffenen gesprochen. Sie können sich sicher sein: Nicht nur wir als Berichterstatter/-innen für dieses Thema nehmen das wahr, sondern alle in diesem Parlament. Ich wurde als Berichterstatterin die letzten Wochen vielfach von meinen Kolleginnen und Kollegen auf dieses Thema angesprochen, auch dank Ihrer Zuschriften. Danke dafür! Wir hören Sie, und wir hören Ihre Anliegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Ein zentrales Anliegen, das immer wieder genannt wird, ist, mehr Wissen und mehr Verständnis bei den Ärztinnen und Ärzten in diesem Land zu schaffen, damit wir endlich überall eine gute, wohnortnahe Versorgung und eine bessere Diagnose vor Ort hinkriegen. Deshalb müssen wir zu diesem Krankheitsbild fortbilden. Wir müssen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen immer wieder darüber reden und dieses Problem verdeutlichen, damit sich wirklich etwas bewegt.

Wir haben den G‑BA Ende letzten Jahres gesetzlich beauftragt, bis Ende 2023 einheitliche Diagnosekriterien vorzugeben und eine flächendeckende Versorgungsstruktur nachzuweisen. Sie können mir glauben: Mir als Parlamentarierin ist es wirklich wichtig, dass das auch geschieht. Wir werden genau beobachten, ob das jetzt wirklich auch passiert, und an dieser Stelle immer wieder nachhaken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich habe gesagt: Wir hören Sie. – Ein weiteres Anliegen ist der Wunsch, dass nach der Diagnose dann auch die richtigen Schritte erfolgen können. Das betrifft die Anerkennung von Pflegebedarf, die Anerkennung von Berufsunfähigkeit, von Hilfsmittelbedarf. Auch dafür ist es wichtig, dass endlich einheitliche Diagnosekriterien vom G‑BA erstellt werden und diese Anliegen auch anerkannt werden, damit die Betroffenen nicht in Existenznöte geraten, sondern ihre Ansprüche geltend machen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])

Ein weiterer Wunsch, der immer wieder an uns herangetragen wird, ist natürlich der nach wirksamen, guten Therapien und Medikamenten und deren schneller Zulassung. Lassen Sie mich aber auch sagen: Wir dürfen dabei nicht fadenscheinigen Therapieangeboten Vorschub leisten; denn auch die Medizin stößt hier bisher vielfach noch an ihre Grenzen. Aber die Charité erforscht seit November die Wirksamkeit dreier bereits zugelassener Medikamente, und ich bin sehr zuversichtlich, dass sich da bald – hoffentlich – auch etwas tut. Ich finde, das gibt schon mal erste Hoffnung für alle Betroffenen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Aber ich muss leider sagen: Auch wir als Politik stoßen an unsere Grenzen, wenn wir Geld für Forschung an Medikamenten zur Verfügung stellen, aber die forschenden Institutionen und das Pharmaunternehmen dann nicht zusammenkommen, es nicht schaffen, einen Vertrag für eine vernünftige Forschung miteinander abzuschließen. Deshalb möchte ich auch in dem einen Fall, den das betrifft, an beide Seiten appellieren: Versuchen Sie doch noch mal, zusammenzukommen, um die Forschung an einem Medikament, das vielen wirklich Hoffnung macht, weiter voranzutreiben!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir als Koalition haben in den letzten anderthalb Jahren, glaube ich, schon vieles bewegt: Wir haben ME/CFS im Zusammenhang mit Long Covid als eines von ganz wenigen Krankheitsbildern konkret in unserem Koalitionsvertrag genannt. Wir haben damit auch viel Aufmerksamkeit für dieses Krankheitsbild geschaffen. Wir haben, wie schon erwähnt, den G-BA verpflichtet, hier die Strukturen zu schaffen. Wir haben in 2022 und 2023 insgesamt 16,5 Millionen Euro an Forschungsgeldern bereitgestellt. Und wir haben dazu auch schon ein Fachgespräch geführt, liebe CDU/CSU. Da wurde deutlich: Es braucht dieses Geld; aber es braucht nicht zwingend gleich noch mehr Geld, sondern es braucht dieses Geld dauerhaft. Deshalb: Streiten Sie bitte mit uns zusammen dafür, dass diese Mittel in den nächsten Jahren im Haushalt verstetigt werden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Sepp Müller [CDU/CSU]: Sehr gerne!)

Ich freue mich sehr, wenn wir über dieses Thema weiter fraktionsübergreifend und gemeinsam diskutieren. Wir werden den Antrag heute in den Ausschuss überweisen. Ich bin gerade bei diesem Thema dagegen, dass wir reine Symbolpolitik machen. Vielmehr möchte ich, dass wir im Ausschuss gucken, wie wir den Forderungen so nachkommen, dass es uns und vor allem den Betroffenen und den Angehörigen einen echten Mehrwert bringt.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Ates Gürpinar hat jetzt für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)