Rede von Dr. Janosch Dahmen Corona-Selbsttests

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25.02.2021

Dr. Janosch Dahmen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist kein Geheimnis, dass Testen und Tracing neben den Kontaktbeschränkungen und dem Impfen zu den wirksamsten Instrumenten bei der Bekämpfung des SARS-CoV-2-Virus gehören. Was aber bis heute ein Geheimnis der Bundesregierung bleibt, ist die konkrete Ausgestaltung ihrer nationalen Teststrategie. Im letzten Sommer hatte der Bundesgesundheitsminister eine nationale Selbstteststrategie angekündigt; aber statt Strategie nehme ich in den letzten Tagen vor allem Kakofonie beim Thema Testen und Schnelltesten von der Bundesregierung wahr. Das muss ein Ende haben!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist doch nur noch verwirrend, wenn einerseits den Bürgerinnen und Bürgern gesagt wird: „Testen ist so wichtig“, und wir auf der anderen Seite einfach so den Tag der Einführung kostenloser, schneller und wirksamer Schnelltests verschieben. Wann wird das passieren? Wie wird das sein? Wann wird das greifen? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wir reden hier über Menschenleben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Strategie, liebe Kolleginnen und Kollegen, heißt Planung, und in der Planung der Teststrategie gibt es doch erhebliche Mängel. Da wäre erstens das Zulassungsverfahren, das ziemlich chaotisch abläuft. Erst hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sämtliche Schnelltests, die bereits europäisch mit einem CE-Kennzeichen zugelassen waren, ungeprüft auf eine Liste zugelassener Tests gesetzt, um sie dann erst im Nachhinein selbst noch einmal zu validieren und mitunter auch Tests wieder von der Liste zu streichen. Bei den Schnelltests zur Selbstanwendung dann genau das Gegenteil: Die Zulassung dauert viel zu lange, und es werden immer neue, teils bürokratische Hürden aufgebaut, die Selbsttests in Verruf bringen und die Testgenauigkeit infrage stellen.

Gestern in der Debatte wurde der Eindruck erweckt, wir Grünen würden uns dafür aussprechen, ungenaue oder unsichere Schnelltests in den Umlauf bringen zu wollen. Das Gegenteil ist der Fall; das will ich klarstellen: Die gestern zugelassenen Schnelltests zur Selbstanwendung sind vom Paul-Ehrlich-Institut seit Anfang Dezember validiert und als zuverlässig bestätigt. Wir haben es in zwei Monaten nicht geschafft, den Menschen diese Tests zur Selbstanwendung als Sicherheitsmaßnahme zur Verfügung zu stellen. Das kann doch nicht wahr sein! Zwei Monate, in denen fast 20 000 Menschen gestorben sind, und wir schauen an dieser Stelle nur zu. Das dauert zu lange, hier waren wir zu langsam, zu spät.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Und zu langsam und zu spät heißt in der Pandemie, der Ausbreitung des Virus hinterherzurennen, anstatt endlich vor die Lage zu kommen.

Das zweite Problem der Teststrategie sind die Produktionskapazitäten. Produktionskapazitäten hängen unmittelbar mit der Nachfrage zusammen, und was mich ratlos macht, ist, dass der Bundesgesundheitsminister den Produzenten von Schnelltests bis heute keine realistische Bedarfseinschätzung und nicht die nötigen Abnahmegarantien geliefert hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch mal: Eine Strategie bedeutet Planung, und bei den Schnelltests brauchen die Produzenten Planbarkeit, damit sie liefern können. Hier sind wir nicht nur zu langsam und zu spät, wir haben auch noch zu wenig Tests, die wir dringend bräuchten. Krise heißt kümmern und nicht, sich einfach auf den Markt zu verlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP])

Das dritte Problem der Teststrategie – das ärgert mich am meisten – ist der mangelnde Wille der Bundesregierung, die Schnelltests zur Selbstanwendung als wirklichen Game Changer in der Pandemiebekämpfung einzusetzen. Der Gesundheitsminister will stattdessen Schnelltests in erster Linie in Apotheken, Arztpraxen oder privaten Testcentern durchführen lassen. Wir werden das große Potenzial der Schnelltests aber nur dann ausschöpfen können, wenn wir die Hürden für die Durchführung von Schnelltests so niedrig wie möglich halten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, Menschen müssen spontan in ihrem Alltag, auf dem Weg zur Schule, auf dem Weg zu einem Treffen, einem Termin oder zur Großmutter einen Schnelltest selbstständig durchführen können. Was wir den Menschen nicht zumuten können, ist, jeden Tag 30 oder 40 Minuten bei einem privaten Testcenter in der Schlange zu stehen, um einen Schnelltest zu machen. Mit den Selbsttests geben wir den Menschen Handlungsfähigkeit in der Krise zurück. Wir machen sie zu aktiven Akteuren im Kampf gegen dieses Virus. Und das brauchen wir jetzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich sage auch als Arzt ganz deutlich: Die Selbsttests sind zuverlässig; die Selbsttests sind kostengünstig; die Selbsttests binden kein Fachpersonal, das wir an anderer Stelle der Pandemiebekämpfung im Moment viel dringender brauchen. Deshalb appelliere ich an die Bundesregierung: Vertrauen Sie unseren Bürgerinnen und Bürgern! Sie können sich zuverlässig selbst testen. Geben Sie jeder Bürgerin und jedem Bürger jede Woche zwei kostenlose Selbsttests, und wir führen damit mehr Sicherheit in einer schwierigen Phase der Pandemie ein und schaffen Vertrauen, das wir dringend in der Pandemiebekämpfung brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Herr Spahn, lassen Sie uns Ihr Motto „Testen, testen, testen“ mithilfe der Bürgerinnen und Bürger endlich in die Tat umsetzen. Deshalb sage ich hier an dieser Stelle: Wir müssen endlich zum Prozedere kommen: Selbst testen, selbst testen, selbst testen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Andrew Ullmann [FDP])

Denn eine Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss uns doch klar sein: Wenn jetzt die Schulen öffnen und bald die Friseure, dann müssen wir den Menschen ein Sicherheitsgeländer gegen die Gefahr der Ansteckung bauen. Und dieses Sicherheitsgeländer sollte meines Erachtens mindestens aus drei Elementen bestehen: den Schnelltest zur Selbstanwendung, dem flächendeckenden Tragen von sicheren, medizinischen Masken bzw. FFP-2-Masken und einer funktionierenden Kontaktnachverfolgung einschließlich Clustererkennung mithilfe der Corona-Warn-App. Wenn das öffentliche Leben nun an manchen Stellen wieder losgeht, dann können wir uns kein Zuspät, Zulangsam, Zuwenig mehr leisten. Zeit ist der kritischste Faktor in dieser Pandemiebekämpfung. Hier sollten wir endlich Verantwortung übernehmen und für alle Menschen vernünftige Lösungen bieten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein letztes Wort noch zum FDP-Antrag. Herr Kollege Ullmann, ich wundere mich schon sehr: Als wir vor vier Wochen dieses Thema hier ins Parlament eingebracht haben, haben Sie – das kam aus Ihren Reihen – ganz großspurig gesagt, die Grünen würden unverantwortliche Zulassungsverfahren befeuern. Jetzt legen Sie einen Vorschlag vor, den wir vor vier Wochen eingebracht haben, in der Phase der Pandemie, wo klar war, dass wir Schnelltests zur Selbstanwendung brauchen. Ich muss Ihnen ehrlicherweise sagen: Ich hätte mir damals mehr Unterstützung gewünscht. Im Kern bin ich aber froh, dass Sie sich unserem Vorschlag anschließen und dass jetzt hier im Parlament offensichtlich von verschiedenen Stimmen endlich der Einsatz von Schnelltests gefordert wird.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Rudolf Henke, CDU/CSU, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der CDU/CSU)