Rede von Dr. Danyal Bayaz Corona-Steuerhilfe

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29.06.2020

Dr. Danyal Bayaz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Guten Morgen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Scholz, Sie haben ja einen großen Wumms angekündigt. Aber geliefert haben Sie, ehrlich gesagt, eine gewagte, eine unkalkulierbare Wette, nämlich die Senkung der Mehrwertsteuer. Wir haben das heute schon ein paarmal gehört: Das ist das Herzstück des Konjunkturpaketes. Doch ob, wie und wem dieses Herzstück wirklich helfen wird: Sie wissen es nicht. Ob es wirklich die Nachfrage ankurbeln wird: Sie wissen es nicht. Wird die Senkung der Mehrwertsteuer wirklich zu einer Reduzierung der Preise führen? Sie wissen es nicht. Einzelne Verbände und Unternehmen haben bereits angekündigt, dass sie genau das eben nicht machen werden.

Bei allem Respekt: Wir reden hier nun mal über 20 Milliarden Euro. Wenn man eine Maßnahme als „Herzstück“ bezeichnet, dann kann man eben nicht nur glauben und hoffen; dann sollte man sich schon einigermaßen – ziemlich – sicher sein, dass sie am Ende auch etwas bringt. Das sind Sie nicht, und das können Sie ja auch gar nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist diese Senkung der Mehrwertsteuer nicht einmal die zweitbeste Lösung, meine Damen und Herren. Sie hätten die Bevölkerung viel zielgenauer, viel effektiver, auch viel unbürokratischer entlasten können, wenn Sie zum Beispiel die EEG-Umlage deutlich stärker gesenkt hätten. Das hätten wir unterstützt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hätte ganz unkompliziert die Kaufkraft der Bevölkerung gestärkt. Auch Unternehmen hätten davon profitiert. Und ja, mit einer klugen Kombination mit einer EEG-Reform hätte das sogar einen großen Beitrag für die ökologische Modernisierung unseres Landes leisten können, meine Damen und Herren.

Herr Dobrindt, ich habe Sie heute kaum wiedererkannt. Sie haben völlig recht: Wenn es um Europa geht, dann stehen Demokratinnen und Demokraten zusammen. Die ganze grüne Fraktion hat heute applaudiert; das kommt ja nicht so häufig vor. Aber Sie haben auch sehr deutlich über die ökologische Modernisierung gesprochen. Ich bin ja echt überrascht von diesen Spillover-Effekten: Nachdem der Söder ergrünt ist und jetzt der Merz auf Stalking-Kurs ist,

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

haben auch Sie heute was dazu gesagt. Ich erinnere mich allerdings, dass gerade Ihr Fraktionschef im Europaparlament vorgestern den Green Deal infrage gestellt hat. Solange Sie bei der Frage nicht klar sind, nehmen wir Sie beim Thema „ökologische Modernisierung“ auch nicht ernst, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was die Genauigkeit dieses Konjunkturpakets angeht, mangelt es auch an der Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen und von Solo-Selbstständigen. Ja, Sie verbessern die Liquidität von Unternehmen durch die Erweiterung der steuerlichen Verlustverrechnung. Aber Sie fördern auch hier eben nicht alle gleich. Gerade kleine und mittlere Unternehmen haben eben weniger von diesem Vorschlag. Das haben uns auch alle Experten und Expertinnen in den Anhörungen, die wir im Ausschuss gehabt haben, bestätigt. Da können Sie sich auch die Sonntagsreden über den Mittelstand als Rückgrat unserer Wirtschaft sparen. Dieses Rückgrat hätten Sie viel zielgenauer stärken können, wenn man die Verlustrückträge über mehrere Jahre verteilt hätte. Leider tun Sie es nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Solo-Selbstständigen ignorieren Sie in Ihrem Konjunkturpaket. Nehmen wir die Grafikerin, nehmen wir den selbstständigen IT-Berater: Na ja, denen helfen halt die Betriebskostenzuschüsse nichts. Hier geht es natürlich auch darum, die Lebenshaltungskosten zu decken, bis die Umsätze irgendwann wieder anziehen. Und ja, Solo-Selbstständige sind auch Treiber von Strukturwandel. Sie sind auch Treiber von Wettbewerbsfähigkeit eines Industriestandortes. Große Unternehmen und auch die öffentliche Verwaltung sind angewiesen auf die Unterstützung und die Dienstleistung von Solo-Selbstständigen. Ich sage jetzt mal ganz ehrlich: Ihre ganzen Bekenntnisse zur Gründerkultur, zur zweiten Chance, zu mehr Mut zur Selbstständigkeit können Sie sich in die Haare schmieren, wenn Sie diese kreative Klasse an der Stelle hängen lassen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Auch Familien hätte die Regierung zielgenauer unterstützen können. Diese Krise war und ist für Eltern und Kinder eine schwierige Zeit. In Schulen und Kitas haben wir viel Stress erlebt. Es waren gerade Frauen, die zu Hause viel Verantwortung übernommen haben. Gerade viele alleinerziehende sind darunter. Fortschritt ist ja auch immer sozialer Fortschritt. Der ist auch hier leider eine Schnecke. Ja, der Kinderbonus – das haben wir heute schon ein paarmal gehört – ist eine vernünftige Sache, gerade auch, weil er mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet wird und auf die Grundsicherung eben nicht angerechnet wird. Hier kommt das Geld an, wo es wirklich benötigt wird. Aber gerade bei den Alleinerziehenden ist das nicht so: Die Erhöhung des Entlastungsbetrags wirkt umso weniger, je geringer das Einkommen ist. Wir haben das mal durchgerechnet: Ein alleinerziehender Bundestagsabgeordneter oder eine alleinerziehende Bundestagsabgeordnete hat etwa 900 Euro mehr in der Tasche. Bei einer Durchschnittsverdienerin sind es gerade mal 350 Euro mehr. Das ist nicht gerecht. Gerecht wäre eine Steuergutschrift, wie wir sie vorgeschlagen haben, die alle Alleinerziehenden in gleicher Höhe von ihrer Steuerschuld abziehen können. Das wäre eine faire, das wäre eine solidarische Maßnahme gewesen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Fokus auf die Gegenwart in diesem Paket ist richtig. Aber gleichzeitig ist er auch die Schwäche dieses Pakets, wenn wir über Zukunftsfähigkeit sprechen.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: 50 Milliarden für die Zukunft! 50 Milliarden für die Zukunft!)

Wir nehmen hier 130 Milliarden Euro in die Hand, Herr Brinkhaus, und stellen sehr laut die Frage: Wie können wir das Jahr 2020 stärken? – Aber es muss auch um die Fragen gehen: Wie sieht es um 2030 aus? Wie kommen wir stärker, resilienter aus dieser Krise? Ja, das geht mit neuen Technologien und mit neuen Geschäftsmodellen.

Ebenso wichtig sind auch klare Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft. Da vermisse ich bei Ihnen eine Strategie und einen Plan. Ich frage mich auch, ob das mit Ihrem Blick auf die Realität zusammenhängt. Ich möchte mal ein Beispiel geben; nehmen wir das Beispiel „Wirecard“. Dazu hat der Wirtschaftsminister Altmaier letzte Woche tatsächlich kommentiert – ich zitiere, Herr Präsident –: „Wir hätten eine solche Situation überall erwartet – nur nicht in Deutschland.“ Da frage ich mich, Herr Wirtschaftsminister, wo Sie eigentlich in den letzten Jahren waren, wenn es um deutsche Großbanken ging, wenn es um Automobilkonzerne ging, wenn wir uns bei Infrastrukturprojekten zum Gespött gemacht haben, wenn wir beim schnellen Internet bestenfalls – bestenfalls, wenn ich großzügig bin – in der zweiten Klasse spielen.

Und wenn ich mir die Kommentare von Herrn Scholz anschaue! Herr Finanzminister, Sie haben ja zuerst die Arbeit der BaFin gelobt, und wenige Stunden später haben Sie Versäumnisse eingeräumt. Das ist genau die Planlosigkeit, die wir uns in der Finanz- und in der Wirtschaftspolitik nicht mehr länger leisten können – angesichts dieser Krise

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

und der Milliarden, die wir jetzt in die Hand nehmen, noch weniger als jemals zuvor.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schäuble war auch dafür! – Gegenruf des Abg. Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Der ist freundlicher beurteilt worden!)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Jetzt erhält das Wort die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer, SPD.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])