Rede von Lisa Paus Cum-Ex-Steuerskandal

29.01.2020

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der erste Strafprozess im milliardenschweren Cum/Ex-Steuerskandal am Landgericht Bonn findet voraussichtlich im Februar/März sein Ende und ist schon heute wegweisend. Angeklagt sind zwei britische Aktienhändler. Der Schaden beläuft sich auf 447 Millionen Euro. Eine Entscheidung ist bereits gefallen. Der Vorsitzende Richter stellte im Dezember klar: Das Gericht sieht den Straftatbestand der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall als erfüllt an.

Das Urteil ist in seiner Signalwirkung gar nicht zu überschätzen. Denn inzwischen ist klar:

Erstens. Cum/Ex ist der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit einem Schaden von mindestens 10 Milliarden Euro.

Zweitens. Cum/Ex ist auch ein europäischer Steuerskandal mit einer Dimension von geschätzt 50 Milliarden Euro.

Drittens. An Cum/Ex waren praktisch alle Bankensegmente beteiligt, natürlich die Deutsche Bank, die Commerzbank, aber auch zahlreiche andere internationale Banken, aber eben auch etliche Landesbanken, die DekaBank, private Bankhäuser, und auch Sparkassen und Volksbanken waren direkt oder zumindest indirekt beteiligt.

(Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das wird jetzt besser, wenn Sie den Gabriel holen!)

Viertens. Cum/Ex ist auch ein Beraterskandal. Freshfields beispielsweise und andere große internationale Wirtschaftskanzleien waren zentrale Drahtzieher und haben sich darauf spezialisiert, Recht und Gesetz auszuhöhlen, statt es zu verteidigen.

Fünftens. Cum/Ex ist ein klarer Fall von Staatsversagen.

Aber die staatlichen Strukturen, die diesen Skandal ermöglicht haben, sind bis heute dieselben. Und auch das ist ein Skandal.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Marianne Schieder [SPD])

Ja, Olaf Scholz hat im vergangenen Jahr angekündigt, ein paar neue Planstellen im Bundeszentralamt für Steuern zu schaffen; aber das ist deutlich zu wenig. Bis heute relativieren Sie von der Koalition den Schaden. Im Endbericht des Cum/Ex-Untersuchungsausschusses beharrten Sie doch ernsthaft auf der Zahl von weniger als 1 Milliarde Euro Schaden. Ein Witz, meine Damen und Herren!

Offenbar gilt im Hause Steinbrück/Schäuble/Scholz auch heute noch das Motto: Besser vertuschen als aufklären. – So enthüllten gestern WDR und „Süddeutsche Zeitung“, dass das Finanzministerium falsche Angaben zu der Frage gemacht hat, wann das Finanzministerium von weiteren teuren Steuertricks, den sogenannten Cum/Fake-Geschäften, wusste:

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

Nicht erst 2018 erfuhren Sie davon, sondern bereits 2012 und 2013. Gemacht haben Sie allerdings bis 2018 nichts dagegen. Stattdessen ließen Sie eine E-Mail schwärzen, und jüngst haben Sie das Informationsfreiheitsgesetz eingeschränkt. – So kann man damit nicht umgehen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD)

Wir Grünen haben 2016 einen Untersuchungsausschuss initiiert. Wir wollten Licht ins Dunkel von Cum/Ex-Geschäften bringen, und wir wollten sehen, wo staatliche Strukturen versagt haben, um sie für die Zukunft zu verbessern. Sie wollten den Bericht einfach abheften – und fertig. So geht das nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb haben wir schon vor einem Jahr einen Zehn-Punkte-Maßnahmenplan vorgelegt. Der sieht unter anderem vor, erstens die drohende Verjährung der Cum/Ex-Straftaten durch eine konzertierte Aktion zwischen Bund und Ländern zu verhindern, zweitens Lobbyverflechtungen bei Gesetzgebungsverfahren durch einen legislativen Fußabdruck transparent zu machen und drittens eine systematische Analyse der Steuererstattungen auf illegale Praktiken einzuführen; denn es ist schon wirklich fahrlässig, trotz 30 Jahren Cum/Ex und Cum/Cum weder eine klare Statistik zu Kapitalertragsteuereinnahmen und ‑erstattungen zu haben noch Personal für eine systematische Analyse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schließlich fordern wir drei wichtige gesetzliche Änderungen: Erstens fordern wir die Einführung eines effektiven Whistleblower-Schutzes in Deutschland; denn all das ist letztlich nur ins Rollen gekommen, weil es Whistleblower mit Gewissen gab. Aber die brauchen unseren Schutz, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens fordern wir die Einführung von Unternehmenssanktionen bei Steuerhinterziehung. Drittens fordern wir, dass Berater ihre steuergetriebenen Gestaltungsmodelle anzeigen müssen.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Sie haben dagegengestimmt!)

Aber bei allen drei Gesetzesvorhaben bremsen, blockieren oder verwässern Sie von der Koalition. Bezüglich der Unternehmenssanktionen hat Ministerin Barley im April 2019 angekündigt, zeitnah einen Gesetzentwurf dazu vorzulegen.

(Dr. h. c. [Univ Kyiv] Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die ist nicht mehr da!)

Bis heute gibt es noch nicht einmal einen Kabinettsentwurf. Und bei Anzeigepflicht und Whistleblower-Schutz würde ohne die EU überhaupt nichts vorangehen.

Wir setzen deshalb jetzt auf eine öffentliche Anhörung zu unserem Zehn-Punkte-Plan im Finanzausschuss; denn bandenmäßige Steuertrickserei lässt sich nicht aussitzen. Dem Einhalt zu gebieten, das ist nicht nur die Aufgabe eines Rechtsstaates, das ist eine Frage der Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Lisa Paus. – Nächster Redner: Fritz Güntzler für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)