Rede von Stefan Gelbhaar DDR-Forschung
Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der 9. November 1989 war ein Donnerstag – wie heute. Das 35. Jahr nach dem Mauerfall beginnt also mit dem morgigen Freitag.
Die DDR-Forschung muss weiterentwickelt werden – gerade jetzt, weil sie jetzt aus einer stark zeitgeschichtlich geprägten Betrachtung Stück für Stück heraus in die Geschichte rückt.
Das Forschungsfeld DDR ist vielfältig. Dabei geht es nicht nur um die Forschung zu DDR-Unrecht, aber doch auch, gerade da, wo die Entschädigungsregelungen noch fehlen und der Bundestag zuständig ist. So wurden Menschen in der DDR von der innerdeutschen Grenze weg zwangsumgesiedelt. An ihren neuen Wohnorten wurden sie gezielt verleumdet. Einige Hundert betroffene Menschen leben noch: ohne Anerkennung, ohne Entschädigung. Ich finde, das muss bearbeitet werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ates Gürpinar [DIE LINKE])
Es sind so viele unterschiedliche Fragen offen. Zu betrachten ist die Entwicklung der DDR-Massenorganisationen und der Verbleib ihrer Vermögen – bis heute –, die Geschichte ehemaliger Blockparteien und ihre Kontinuität in heutigen Bundestagsparteien und wie das aufgearbeitet wurde oder auch nicht. Offen sind Fragen über den Alltag, die Phasen, die Sprache, den Sport, die Kultur in der DDR, über die Traditionen und deren Verbleib – bis heute. Aber auch zur Geschichte der Bundesrepublik gibt es Forschungsbedarf: etwa zur Zwangsarbeit von Gefangenen in der DDR im Auftrag von Westfirmen oder zur Rolle des Bundesnachrichtendienstes in der deutsch-deutschen Politik oder – nicht zu vergessen – zur finanziellen Stabilisierung der DDR durch Westdeutschland. Das sind sicherlich unangenehme Punkte, es ist aber deswegen nicht minder notwendig, diese zu betrachten und zu erforschen.
Wir als bündnisgrüne Fraktion haben auf einer Konferenz zum Jahrestag des 17. Juni mit Fachleuten diskutiert. Derweil hat die Union diesen – eigentlich wichtigen – Schaufensterantrag gestellt, einen Antrag, der ignoriert, dass die Union selbst 2017 die Förderreduzierung angelegt hat.
(Stephan Albani [CDU/CSU]: Was?)
Konsequent stellt die Union auch keinen Haushaltsantrag, der eine Änderung bewirken könnte, sondern versteckt sich hinter Text statt hinter klaren Zahlen. Derlei Scheinpolitik braucht aber keiner, und darum lehnen wir diesen Antrag ab.
(Stephan Albani [CDU/CSU]: Wieso macht ihr gar nichts? – Nina Warken [CDU/CSU]: Warum macht ihr gar nichts?)
Wir müssen die DDR-Forschung aber ernsthaft weiterentwickeln, an den Universitäten und darüber hinaus. Wir könnten besondere Biografien noch stärker beleuchten; viele Personen kommen mir da in den Sinn. Heute aber möchte ich ihn herausgreifen: Vor genau einem Jahr, am 9. November, verstarb der Bürgerrechtler und unser ehemaliger Mitabgeordneter Werner Schulz.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Das Wort erhält Katrin Budde für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)