Rede von Manuel Sarrazin Deutsch-polnische Geschichte
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Krieg und Besatzung auf dem Gebiet der vormaligen Zweiten Polnischen Republik waren einzigartig, nicht nach dem Maßstab von Ausmaß oder Grausamkeit, die ich hier nicht in einem vergleichenden Maßstab heranziehen möchte, aber in vielen Aspekten, die auch in anderen Besatzungsregimes zu finden waren, aber wohl in keinem anderen Vorkriegsland in dieser Komplettheit: die Nähe zwischen Deutschen und Polen vor dem Krieg, die Besetzung und der Krieg aufgrund einer deutsch-sowjetischen Vereinbarung, die Vielfalt der Grausamkeit in den zwei Besatzungszonen mit Germanisierung und Vernichtung, die Radikalität des Vorgehens mit dem absoluten Auslöschungswillen und die Auswahl von Vorkriegspolen als Ort des Holocausts.
Auch die Versöhnungsgeschichte zwischen Deutschland und Polen ist einzigartig. Zur Versöhnung gehört, am Bewusstsein zu arbeiten, weiße Flecken aufzuarbeiten und ungesühnte Verbrechen anzugehen. Das haben Generationen vor uns begonnen; aber diese Arbeit ist immer noch nicht erledigt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Die junge Generation in Polen wie auch bei uns erinnert sich schon nicht mehr an die Versöhnungsgeschichte.
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, klar. Gerne.
Petr Bystron (AfD):
Lieber Kollege Sarrazin, Sie sprechen von Versöhnung zwischen den Polen und uns Deutschen. Sie als Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe hätten die besten Voraussetzungen dafür, auch im Sinne der Versöhnung zu wirken. Dabei haben Sie gerade bei der Erarbeitung dieses Antrags, wo es um dieses Denkmal ging, die AfD von Anfang an absichtlich ausgeschlossen.
(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben uns sogar in Gesprächen mit polnischen Vertretern als Nazis bezeichnet. Sie haben gesagt: Die AfD brauchen wir gar nicht zu fragen. – Das können Sie natürlich als Grüner, als gewählter Abgeordneter gerne machen. Aber als Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe sind Sie dafür völlig ungeeignet. Möchten Sie nicht zurücktreten?
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD und der LINKEN: Nein!)
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Herr Bystron, mein ehemaliger Professor an der Universität Bremen ist der ehemalige Vizepräsident des Europäischen Parlaments und ein enger Freund von Herrn Kaczynski. Der hat vor ein paar Jahren in einem „Welt“-Interview über den Charakter Ihrer Partei gesagt, sie sei zutiefst revisionistisch, antisemitisch und deswegen antipolnisch eingestellt. Ich glaube, das reicht als Antwort auf Ihren Beitrag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ich gerade sagen wollte: Die junge Generation in Polen, wie zum Teil auch bei uns, erinnert sich schon nicht mehr an diese Versöhnungsgeschichte. Umso wichtiger ist es, dass wir, wenn wir auch die jungen Menschen erreichen wollen, Orte schaffen, Gelegenheiten schaffen, aufzuarbeiten, zu lernen, aber auch ritualisiert zu gedenken.
Ich denke, dass wir wirklich auch in der bilateralen Zusammenarbeit mit unserem Nachbarn Polen staatliche Rituale in Deutschland brauchen, anstatt immer nur auf Einladung der polnischen Freunde in Polen zu gedenken, und dass wir so auch eine neue Bezugsgruppe schaffen können, einen neuen Bezug zu der Versöhnungsgeschichte, der in die Zukunft reicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dafür die Gedenklandschaft in Berlin weiterzuentwickeln, mit einem Denkmal für die Opfer in Polen, mit dem Dokumentationszentrum, das vor zwei Wochen auf den Weg gebracht wurde, und meiner Ansicht nach auch mit einem Doppelmuseum, das ist der richtige Weg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich bin der festen Überzeugung, dass Europa scheitern wird, wenn die deutsch-polnische Freundschaft nicht gelingt,
(Beifall des Abg. Paul Ziemiak [CDU/CSU])
so wie Europa ohne die Ukraine, Belarus, Russland oder Griechenland nicht vollkommen sein kann. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir Deutschen in unserer deutsch-polnischen Geschichte und unserer deutsch-polnischen Freundschaft uns selber erkennen können. Zu einem selbstbewussten Deutschland gehört ein Platz für Polen, ein eigener Platz für Polen in unserem Gedenken.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Thomas Erndl.
(Beifall bei der CDU/CSU)