Rede von Dr. Franziska Brantner Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 

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01.07.2020

Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute ist ein besonderer Tag. Es ist der Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft; die letzte ist 13 Jahre her. Das ist eine große Verantwortung, die Deutschland heute übernimmt, die Verantwortung, die Weichen in dieser besonderen Zeit so zu stellen, dass die EU nach der Krise besser dasteht als zu Beginn: ökologischer, sozialer und souveräner. Dafür braucht es jetzt ein starkes europäisches Konjunkturprogramm und einen starken siebenjährigen Haushalt.

Es ist gut und richtig, dass diese Regierung sich mit der französischen auf europäische Anleihen geeinigt hat. Aber jetzt muss es auch darum gehen, wofür diese Gelder ausgegeben werden. Bis jetzt diskutiert diese Regierung in Brüssel nur über die Rückzahlungsmodalitäten und nicht über die Verwendung der Gelder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das reicht eben nicht. Bis jetzt ist da gar nichts verbindlich. Wir müssen dafür sorgen, dass die Gelder verbindlich in den Klimaschutz und in die Digitalisierung investiert werden.

(Lachen des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Das Europäische Parlament hat vorgeschlagen, dass 30 Prozent dem Klimaschutz dienen und 10 Prozent der Biodiversität. Es gibt unzählige Regierungen, unter anderem die französische, die sich diesem Ziel angeschlossen haben. Worauf warten Sie noch, liebe Bundesregierung? Schließen Sie sich endlich diesem Ziel an!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist tragisch, zu sehen, wie Manfred Weber in Brüssel den Green Deal Ihrer Kommissionspräsidentin von der Leyen torpediert. Indem er jetzt sagt: „Der Green Deal muss auf Eis gelegt werden“, verpasst er die große Zukunftschance, die in dieser Krise liegt. Es ist unverantwortlich, dass das von Ihnen aus der CDU/CSU kommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens müssen wir mit diesen Konjunkturmilliarden auch echte europäische Projekte voranbringen. 85 Prozent der Gelder sind für rein nationale Projekte vorgesehen. Dabei wissen wir, dass wir in die europäische Infrastruktur investieren müssen. Schienennetze, Energienetze, grüne Wasserstoffstrategie,

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Straßen!)

5G-Netz, digitale Infrastruktur – das sind europäische Infrastrukturen, die wir brauchen; die gibt es nicht umsonst. Wann sollen wir anfangen, darin zu investieren, wenn nicht jetzt? Machen Sie endlich den Anfang, und bringen Sie das als Bundesregierung voran!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Apropos Warten: Worauf wartet Herr Scholz eigentlich noch bei der Digitalsteuer? Die USA haben klipp und klar gesagt: Wir wollen keine OECD-Lösung bei der Digitalsteuer. Herr Scholz sagt zu dem Programm für die Ratspräsidentschaft wieder: Wir setzen auf eine OECD-Lösung. – Verdammt noch mal, fangen Sie endlich an mit einer europäischen Lösung! Was für ein klareres Signal aus Washington brauchen Sie eigentlich noch, um hier endlich europäisch voranzugehen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Maas, unterschreiben Sie keinen Haushalt, der nicht den Rechtsstaat und die Demokratie zur Bedingung macht. Demokratiezerstörer dürfen keine europäischen Steuerzahlergelder bekommen. Es ist unglaublich, dass Ungarn und Polen als einzige Länder immer noch nicht der Europäischen Staatsanwaltschaft beigetreten sind, die gegründet wurde, um dem Betrug im Umgang mit EU-Geldern nachzugehen. Es sind die zwei Länder – Ungarn und Polen –, die sich weigern, der Europäischen Staatsanwaltschaft beizutreten. Ich finde das wirklich nicht mehr nachvollziehbar. Kämpfen Sie dafür, dass diese Länder endlich beitreten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Liebe Union – ich kann es Ihnen nicht ersparen; ich werde es in jeder Rede wiederholen –, schließen Sie endlich Orbans Fidesz-Partei aus der konservativen Parteienfamilie aus. Das ist das politische Zeichen, auf das ganz Europa wartet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben in dieser Krise gemerkt, wie abhängig wir sind in den Bereichen der Medizin und der Schutzgüter. Wir haben gesehen, wie reflexhaft nationale Grenzen geschlossen werden; Herr Lambsdorff hat es gesagt. Wir haben sogar Exportverbote gesehen; das hätte ich mir nie vorstellen können.

Wir haben gesehen, wir verwundbar wir sind. Die deutsche Ratspräsidentschaft muss jetzt eine europäische Gesundheitsunion voranbringen, eine grenzüberschreitende Taskforce gründen, damit die Zusammenarbeit der Gesundheitsämter vor Ort jetzt anläuft. Es ist mir nicht verständlich, warum Herr Seehofer weiterhin diese grenzüberschreitende Taskforce ablehnt. Da stellt sich mir die Frage, ob er in der nächsten Krise einfach unbedingt wieder die Grenzen schließen will. Wenn das nicht sein Ziel ist, dann muss er jetzt handeln und jetzt Vorbereitungen treffen, damit wir in einer Krise nicht wieder auf Grenzschließungen angewiesen sind. Dieses Handeln erwarte ich von einer Ratspräsidentschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Lechte [FDP])

Es ist auch Zeit, den Handel neu aufzustellen. Wir wissen, dass es nicht gut ist, wenn wir mit Blick auf die Beschaffung von Masken zu 97 Prozent auf China angewiesen sind. Es könnte auch jedes andere Land sein: 97 Prozent Abhängigkeit ist nicht nachvollziehbar. Deswegen brauchen wir eine eigene europäische Produktion, und auch die müssen wir jetzt voranbringen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Petr Bystron [AfD])

Mit Blick auf fairen Handel: Ich verstehe es nicht, warum diese Bundesregierung jetzt darauf drängt, das Mercosur-Abkommen durchzupeitschen,

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Nee, nee, nee!)

obwohl einige europäische Länder gesagt haben, dass sie eindeutig dagegen sind; Österreich, Frankreich und weitere. Und sie haben recht, es abzulehnen: Weil es zur Vernichtung des Regenwaldes beiträgt und weil es schweigt zur Verletzung von Menschenrechten.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Alexander Graf Lambsdorff [FDP])

Frau Merkel, nutzen Sie diese Chance, um ein neues Abkommen anzufangen, ein faires, ökologisches und soziales Abkommen, das Menschenrechte respektiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Nicht wieder Protektionismus!)

– Das ist kein Protektionismus, sondern das ist ein fairer Handel.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bolsonaro ist ja kein Rechtsextremist!)

Herr Johnson will kein Abkommen, Herr Maas. Seit Jahren sagt Herr Johnson, dass sein präferiertes Ziel ist: No Deal. Und weil das so ist und das Datum für eine Verlängerung jetzt abgelaufen ist, bitte ich Sie inständigst, endlich mehr zur Vorbereitung dieses Szenarios zu tun. Wir müssen die Unternehmen besser vorbereiten auf dieses Szenario, und zwar europaweit, damit wir nicht im Zweifel im Herbst gezwungen sind, Kompromisse zu machen, die de facto den Binnenmarkt zerstören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich enden mit einem Zitat von Goethe, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident.

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Goethe immer.

Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Goethe immer. – „Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muß auch tun.“

In diesem Sinne: Eine gute Ratspräsidentschaft!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Martin Schulz [SPD])

Vizepräsident Thomas Oppermann:

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion der SPD ist der Kollege Johannes Schraps.

(Beifall bei der SPD)