Rede von Katrin Göring-Eckardt Deutsche EU-Ratspräsidentschaft und Europäischer Rat

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18.06.2020

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundeskanzlerin! Ich bin Thüringerin, ich bin Deutsche und vor allem stolze Europäerin. Wie gar nicht so wenige in Europa bin ich in einer Diktatur geboren. Freiheit, Rechtsstaat, Gerechtigkeit – ich weiß, wie es sich ohne anfühlt. Deswegen: Europa ist und bleibt die beste Idee, die Europa je hatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Doch Deutschland und Europa befinden sich in einer doppelten Krise: in der Coronakrise und in der Klimakrise. Diese Krisen meistern wir nur, wenn wir beide gemeinsam bekämpfen, meine Damen und Herren. So vergleichsweise gut, wie wir in Deutschland durch die Coronakrise gekommen sind, wären wir doch prädestiniert dafür, beim Klimaschutz jetzt wirklich eine führende Rolle zu übernehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu haben Sie viele Sätze gesagt. Auch schon in Ihrer Rede anlässlich des Petersberger Klimadialogs haben Sie gesagt, dass Deutschland nicht am Klimaschutz sparen dürfe, sondern Investitionen in zukunftsfähige Technologien benötige. Aber nur Sätze zu sagen, das reicht eben nicht, sondern es braucht jetzt wirklich Taten.

In Brüssel haben Sie den nationalen Klimaplan ein halbes Jahr zu spät eingereicht: too little und too late.

Schauen wir uns das nationale Konjunkturprogramm an. Sie steigen mit 9 Milliarden Euro bei der Lufthansa ein mit flauschigen Absichtserklärungen zum Klimaschutz. Airbus hat das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2030 emissionsfreies Fliegen zu ermöglichen. Wo ist denn Ihre Initiative, die europäischen Airlines gemeinsam auf Linie zu bringen, die Lufthansa voran?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wo ist der Plan für den Bereich Schiene? 130 Milliarden Euro und kaum etwas für die Verkehrswende.

Über Ihr Konjunkturprogramm, Frau Merkel, Herr Scholz, haben Sie gesagt: Das ist ein Paket, das schickt man in die Welt, und dann hofft man, dass der Mensch sich freut. – Wir haben zu Recht gesagt: An diesem Paket ist nicht alles falsch; da ist viel Richtiges drin. Aber das sind eben kurzfristige Investitionen. Wir glauben, es braucht einen Pakt, eine echte Verabredung mit den Unternehmen in Deutschland, mit den Unternehmen in Europa, mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Kontinents und dieses Landes. Es braucht einen echten Pakt, der besagt: Wir verabreden uns – für langfristige Investitionen, für zukunftsfähige Investitionen, für echte Nachhaltigkeit. Wir brauchen diese Planungssicherheit, wenn wir die große Transformation, wenn wir die große Umstellung schaffen wollen, wenn wir es schaffen wollen, aus dieser Krise herauszukommen und nicht Altes zu restaurieren, sondern Neues zu schaffen, ökologisch und gerecht, resilient für die Zukunft, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen lautet meine große Bitte: Machen Sie diese Ratspräsidentschaft zur Klimapräsidentschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Ziel, das wir brauchen. Das heißt ganz praktisch: Unterstützen Sie ein europäisches Klimaschutzgesetz, das 65 Prozent Emissionsminderungen bis 2030 verankert und jährliche CO-Budgets definiert. Investieren Sie in den Recovery Plan, der den Zusammenhalt stärkt und eine klimafeste Wirtschaft schafft, und beenden Sie die Blockade einer Gemeinsamen Agrarpolitik, die klar auf nachhaltige Landwirtschaft setzt, die Qualität und nicht Fläche fördert,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die Pestizide und Überdüngung drastisch reduziert und die sich ernsthaft um das Tierwohl kümmert.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man kann dieses Thema an diesem Tag nicht weglassen. Das, was in Nordrhein-Westfalen, das, was in den Tönnies-Werken passiert ist, das ist nicht eingeschleppt worden; das ist Folge der Arbeitsbedingungen, die wir hier haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/CSU])

Das ist die Art und Weise, wie wir hier billiges Fleisch produzieren. Deswegen lautet meine Aufforderung: Handeln Sie endlich. Das können Sie nämlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Deutschland kommt nur aus der Krise, wenn es unseren Nachbarinnen und Nachbarn gut geht. Wir sind Exportland. Deswegen hat mich die Initiative von Ihnen und Emmanuel Macron wirklich erfreut. Aber warum hat es genau drei Jahre und eine Pandemie bis zu dieser Initiative gedauert? Bei der Umsetzung müssen Sie einen Gang hochschalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Merkel, am Ende Ihrer Kanzlerinnenschaft tragen Sie mit der Ratspräsidentschaft die Verantwortung für dieses Land und für Europa. Es ist an Ihnen, ob die Milliarden in eine krisenfeste EU und in die Zukunft unserer Kinder investiert werden. So viel Geld gibt man nur einmal aus. Ich finde, geben wir es doch für das neue Europa aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was für ein Europa wird das am Ende dieser Ratspräsidentschaft sein? Eines, das geprägt ist von Solidarität, von Gerechtigkeit, von Umwelt- und Klimaschutz? Wollen wir ein Europa, das für die Rechte der Geflüchteten eintritt, oder dulden wir weiter die schrecklichen Zustände in Elendslagern wie Moria, die die europäische Idee jeden Tag ebenso verraten wie jede und jeder einzelne Tote im Mittelmeer?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wird das ein Europa mit mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern sein? Oder geht es weiter mit dem Rollback? Wird das ein Europa der Vielfalt sein, in dem die Menschen sagen: „Black lives matter“, oder ein Europa, in dem 100 polnische Gemeinden, Kreise und Bezirke sich de facto zur LGBTIQ-freien Zone erklärt haben? Polen und Ungarn bauen Rechtsstaat und freie Presse systematisch ab, und Ihr Parteifreund, Herr Orban, leitet alldieweil EU-Mittel in sein Oligarchennetzwerk um. Nein, dafür darf es kein europäisches Geld geben, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn man sich das Verständnis von einem europäischen Vorgehen am Beispiel des gemeinsamen Vorgehens gegenüber dem Regelbrecher China anschaut, dann hat man das Gefühl: Da ist der Prager Bürgermeister mutiger als der deutsche Außenminister.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen doch ein gemeinsames Vorgehen haben. Herr Brinkhaus, in diesem Zusammenhang haben Sie zum 5G-Ausbau gesagt, dass wir eine eigene Initiative brauchen. Ja, bitte schön; dann aber gemeinsam und mit einer klaren Ansage an China zur Art und Weise, wie dort gewirtschaftet wird und wie versucht wird, hier Strukturen aufzubauen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen einen neuen europäischen Aufbruch; der muss mit der Ratspräsidentschaft verbunden sein. Europa ist krisenfest zu machen, mit Solidarität als Haltung, mit einem Rechtsstaatsprogramm und mit einem echten Green Deal als Innovations- und Wirtschaftsmotor. Das ist das neue Europa, für das wir gemeinsam mit Leidenschaft kämpfen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nezahat Baradari, SPD.

(Beifall bei der SPD)