Rede von Dr. Till Steffen Digitale Verkündung von Gesetzen

Dr. Till Steffen
01.12.2022

Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Amthor, ich kann Ihnen versprechen: Wir werden Sie nicht enttäuschen. Wir werden auf Sie zukommen, was weitere Grundgesetzänderungen betrifft. Insbesondere wollen wir mit Ihnen über die Änderung des Wahlalters für die Bundestagswahl sprechen. Wahlalter 16 ist ein Thema, das wir uns vorgenommen haben, das wir auch intensiv beraten haben. Ich bin mir tatsächlich auch sicher, dass wir zu einem guten gemeinsamen Ergebnis kommen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Insoweit, glaube ich, haben wir genug Stoff, über viele Dinge bezüglich der Änderung des Grundgesetzes zu sprechen. Zum Beispiel wollen wir bei den Kinderrechten und an einigen anderen Stellen etwas tun. Wir werden viel Stoff haben, gemeinsam über Grundgesetzänderungen zu reden. Wenn wir in dem sehr vertrauensvollen Ton reden, wie wir das bei diesem Gesetz getan haben, und so gemeinsam Ergebnisse erzielen, kann es für diese Themen einfach nur gut sein.

Wir sind bei dem Thema der Verkündung. Hier denken die meisten vielleicht an Weihnachten. Es geht nicht darum, was die Engel demnächst tun werden, sondern es geht hier um die spannende Frage, die die Kollegen Karaahmetoğlu und Amthor bereits ausgebreitet haben: Wie werden Gesetze in die Welt gesetzt? Wie wird das, was wir hier täglich in stundenlanger Arbeit tun, den Normen unterworfenen Bürgerinnen und Bürgern so zur Kenntnis gegeben, dass sie wissen: „Ja, das ist wirklich ein Gesetz, daran muss ich mich halten“? Hier gibt es eine Besonderheit, die den meisten gar nicht so geläufig ist. Es reicht nicht aus, in das Gesetz zu gucken – Papierausgaben, die man früher kaufen konnte, oder Sammlungen im Internet, wie es heutzutage der Fall ist –, sondern es gibt das eine Original. Das ist maßgeblich, und das steht bislang im Gesetzblatt. Das Gesetzblatt heißt so, weil es aus Papier ist. Dieser Begriff steht im Grundgesetz. Weil dieser Begriff dort steht und man sich das 1949 gar nicht anders vorstellen konnte, müssen wir das jetzt ändern, wenn wir das anders machen wollen. Aktuell ist es so. Fast alle Leute, die wissen wollen, was im aktuellen Gesetz steht, schauen im Internet an geeigneter Stelle, was verkündet worden ist. Aber auch das Gesetzblatt, das jetzt im Internet steht, ist nur eine Wiedergabe des Originals, das auf dem Papier steht. Damit wir diesen Weg nicht mehr gehen müssen, ändern wir das Grundgesetz und auch das entsprechende Gesetz. Darum geht es im Kern.

Ich finde, das ist auch ein schönes Beispiel dafür, was wir machen, wenn wir in Deutschland von Digitalisierung reden. Wir reden immer von Digitalisierung. In Wahrheit machen wir meistens Schritte, die absolute No-Brainer sind, nämlich einen Vorgang, der herkömmlich auf Papier erfolgte, auf einen elektronischen Weg zu übertragen. Das ist aber zu kurz gesprungen, wenn wir sagen, dass wir damit die Digitalisierung geschafft haben. Natürlich ist Digitalisierung viel mehr, etwas ganz anderes, nämlich eine Veränderung unseres Zusammenlebens und der Art, zu arbeiten, zu leben, miteinander zu interagieren, weil diese Wege ganz andere Möglichkeiten bieten. Auch als Gesetzgeber machen wir bestimmte Prozesse genauso. Herr Amthor, da haben Sie Recht. Verwaltungen arbeiten so. Unternehmen arbeiten herkömmlich mit Hierarchien, weil Papier tatsächlich bestimmte physische Eigenschaften hat. Das muss man nicht mehr machen. Das führen uns viele Unternehmen vor, die mit digitalen Anwendungen erfolgreich sind. Wenn wir das nutzen wollen, dann müssen wir Digitalisierung weiterdenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das ist das, was wir leisten müssen. Das ist angesprochen worden. Die Maschinenlesbarkeit ist die Voraussetzung dafür, dass digitale Anwendungen im Rückgriff auf die aktuelle Gesetzesfassung interessante Optionen anbieten können. Deswegen ist es so irre, dass wir uns hier zunächst, genauso wie an vielen anderen Stellen, bei der Digitalisierung darauf beschränken, PDFs ins Internet zu stellen. Wer sich ein bisschen damit beschäftigt, weiß, wie wenig das ist. Da müssen wir wesentlich weiterkommen. Es ist gut, dass auch dieser Prozess jetzt entsprechend voranschreitet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Etwas anderes ist ganz wichtig. Es geht um den Zugang zum Recht. Es ist ganz interessant, dass wir tatsächlich – das hat sich sukzessive geändert – vor einigen Jahren der Meinung waren: Derjenige, der wissen wollte, was wirklich im Gesetz steht, und die Originalfassung haben wollte, muss das Bundesgesetzblatt für Geld abonnieren, zunächst in Papierform. – So war es zunächst auch bei den Internetfassungen. Man muss Geld aufwenden, um herauszufinden, welchen Regeln man sich jetzt fügen muss, welche Regeln gelten. Das ist natürlich ein Missstand; denn wir machen die Regeln für alle. Sie gehören nicht dem Staat, sondern den Bürgerinnen und Bürgern. Für sie machen wir das. Deswegen ist es natürlich richtig und gut, dass wir diesen Schritt gehen, dass es künftig selbstverständlich kostenlos zur Verfügung steht. Regeln, die für alle gelten, müssen auch alle lesen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Canan Bayram [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Ich wünsche mir, dass wir diesen Weg noch ein Stückchen weitergehen. Wir haben in Deutschland den interessanten Kniff, dass wir in einer ganzen Reihe von Gesetzen auf den Stand der Technik verweisen. Man muss sich von Gesetzes wegen an den Stand der Technik halten. Das ist in VDI-Richtlinien und DIN-Normen niedergelegt. Wenn man die lesen möchte, muss man Geld ausgeben. Das, was für einen gilt, erfährt man nur, wenn man Geld ausgibt. Diesen Missstand sollten wir als Nächstes angehen. Das wäre konsequent, um hier den Zugang zum Recht zu ermöglichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich wünsche mir, dass wir nicht sagen: Wow, wir haben es endlich geschafft. – Herr Karaahmetoğlu hat gesagt, wie lange das gedauert hat. Ich finde, die Digitalisierung in Deutschland ist ganz schön langsam. Ich wünsche mir, dass wir Digitalisierung künftig anders verstehen und dass wir schneller werden; sonst werden wir den Rückstand bei der Digitalisierung, den wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten haben, nicht aufholen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir das tatsächlich als Resultat aus diesen gemeinsamen Beratungen mitnehmen, dann war es tatsächlich ein großer Gewinn, dass wir dieses Gesetz heute verabschieden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Als Nächster erhält das Wort für die AfD-Fraktion Dr. Christian Wirth.

(Beifall bei der AfD)