Dr. Paula Piechotta MdB
30.01.2024

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die Sie jeden Tag auf die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland angewiesen sind, aber die Sie sie auch jeden Tag bezahlen! Ich möchte das wiederholen, was heute Morgen um 10 Uhr – das ist etwa fünf Stunden her – die Union in Person von Herrn Middelberg hier gesagt hat: Das ist kein Sparhaushalt. – Und jetzt, um 15.30 Uhr, stellt sich Florian Oßner hierhin und sagt: Das ist ein Sparhaushalt, und damit fährt man die Verkehrsinfrastruktur gegen die Wand.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Nein! Habe ich nicht gesagt!)

Meine Damen und Herren, liebe Union, es tut mir selber im Schritt weh, Ihnen bei diesem Spagat zuzusehen. So gelenkig sind Sie nicht, dass Sie uns hier alle fünf Stunden eine komplett andere Realität weismachen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Florian Oßner [CDU/CSU]: Das ist nicht korrekt! Das ist definitiv falsch! Ich habe von keinem Sparhaushalt gesprochen! In keiner Weise habe ich einen Sparhaushalt angesprochen!)

Dieser Verkehrshaushalt ist kein Sparhaushalt. Er hat im neuen Haushaltsjahr 2024 ein Volumen von 44,1 Milliarden Euro im Vergleich zu 35,6 Milliarden Euro im vergangenen Haushaltsjahr und hat damit noch mal einen enormen Aufwuchs erfahren.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Du sollst die Reden nicht immer vorher schreiben, bevor du die Reden gehört hast!)

Dieser enorme Aufwuchs ist notwendig, weil wir – Kollege Hakverdi hat es gerade beschrieben – unglaublich große Investitionsstaus geerbt haben – nicht nur von Andreas Scheuer – und auch eine jahrzehntelange Vernachlässigung bestimmter Verkehrsinfrastrukturträger erlebt haben.

(Zuruf von der SPD: Dobrindt! Ramsauer!)

Man muss nicht mal – das lockt niemanden von uns mehr hinterm Ofen hervor – die Geschichten tausender Menschen bemühen, die mal eben von Dresden nach Leipzig fahren wollten und dann zwei Stunden in der Brandenburger Landschaft standen oder die am Berliner Hauptbahnhof gestrandet sind und nicht wussten, welcher der Ersatzzüge wohin fährt oder ob sie überhaupt fahren. Diese Geschichten sind inzwischen so normal geworden, dass sie niemanden von uns mehr wirklich überraschen.

(Dr. Dirk Spaniel [AfD]: Das ist doch Ihre Regierung!)

Ein Blick auf die Stellwerke aber zeigt, wie groß die Unterschiede zwischen Schiene und Straße sind, auch wenn es im Bereich Straßenverkehrsinfrastruktur Investitionsstau gibt. Wir haben in Deutschland Stellwerke im Bereich der deutschen Schieneninfrastruktur, wo Mitarbeiter sitzen, deren Kernkompetenz es ist, über 100 Jahre alte Technik am Laufen zu halten, und das bekommen sie auch hin. Aber was selbst diese nicht mehr verstehen, ist, dass wir im 21. Jahrhundert in Deutschland Stellwerke haben, wo im Winter kein Wasser fließt, wo das Dixi vor der Tür steht, weil die Toilette nicht spülbar ist, und wo das Wasser mit Flaschen angekarrt wird.

(Felix Schreiner [CDU/CSU]: Dann nehmen Sie halt die 4 Milliarden!)

Das sind die Arbeitsbedingungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Bahn in den ältesten Stellwerken.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Dann nehmt das doch aus dem Eigenkapital raus und steckt das in die Korridorsanierung sowie in die Bedarfspläne!)

Das wird Ihnen an keiner Tank- und Raststätte an deutschen Autobahnen begegnen, und das wird Ihnen auch an keinem einzigen Betriebshof der Autobahn GmbH begegnen.

(Beifall des Abg. Metin Hakverdi [SPD])

Daran sehen Sie, um wie viel größer der Investitionsstau im Bereich Schiene im Vergleich zur Straße ist.

Kommen wir noch mal zu den Realitäten. Florian Oßner und liebe Unionsfraktion, bei Ihrem Spagat ist es ja auch immer notwendig, dass Sie sich von Debatte zu Debatte komplett neue Realitäten erschaffen. Deswegen noch mal kurz zu den Fakten; denn Sie haben kein Recht auf eigene Fakten:

(Lachen bei der CDU/CSU)

Schauen wir uns die Investitionen im Bereich Bundesschienenwege in den Jahren 2020 – das war das letzte komplette GroKo-Jahr –, 2023 als vergangenes Haushaltsjahr und 2024 als das jetzt beginnende Haushaltsjahr an: 2020 6,6 Milliarden Euro, 2023 8,9 Milliarden Euro auch dank der 1,5 Milliarden Euro, die wir im Koalitionsausschuss draufgesattelt haben. Und selbst das verdoppeln wir jetzt – auch dank der Eigenkapitalerhöhung – auf 16,3 Milliarden Euro.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Aber bringt ja nichts! Was macht ihr mit der Eigenkapitalerhöhung?)

Das ist ein unglaublicher Sprung nach oben, damit die Korridorsanierung nach der Fußballeuropameisterschaft auch richtig gut starten kann.

(Enak Ferlemann [CDU/CSU]: Die klappt nicht! – Zuruf des Abg. Florian Oßner [CDU/CSU])

Damit lösen wir nicht nur das Versprechen ein, dass wir den Verkehrsinfrastrukturstau im Bereich Schiene endlich auflösen,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

sondern auch das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, dass wir erheblich mehr in die Schiene als in die Straße investieren.

Weil uns als Koalitionsberichterstattern das auch in den vergangenen Verfahren unglaublich wichtig war, möchten wir auch jetzt nicht, dass die Wasserstraße hinten runterfällt.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Ach!)

Sie erinnern sich, wie wir – Metin Hakverdi, Frank Schäffler und ich – uns auch letztes Jahr für eine auskömmliche Finanzierung der Wasserstraße eingesetzt haben. Auch hier noch einmal der Vergleich der Jahre 2020, 2023 und 2024: Im letzten kompletten GroKo-Jahr waren es 840 Millionen Euro, 2023 1 Milliarde Euro auch dank des Einsatzes des Parlamentes und 2024 1,4 Milliarden Euro für den Erhalt, für den Aus- und Neubau und für sonstige Investitionen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, überall geht es nach oben,

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Das sieht die Wasserwirtschaft aber anders! Das sehen die Binnenhäfen anders!)

insbesondere in den Bereichen Schiene und Wasserstraße. Das ist notwendig in diesen Zeiten; denn dabei geht es um den Substanzerhalt in diesem Land. Und am Ende nutzt das vor allen Dingen den Menschen, den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle muss man aber auch kritische Worte zur Regierung verlieren. Wir hatten ja ein sehr kompliziertes Haushaltsverfahren.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Nein, das war verfassungswidrig! Sie können das doch mal benennen! Es war verfassungswidrig!)

Die Regierung musste nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein zusätzliches Verfahren durchführen und hatte unter anderem vorgeschlagen, die Mittel für die Fahrradparkhäuser aus dem Bundeshaushalt zu streichen, obwohl der Bundeshaushaltsausschuss deren Finanzierung schon öffentlich kommuniziert und beschlossen hatte. Das Vertrauen in die Zuverlässigkeit dessen, was ein Bundeshaushaltsausschuss beschließt, derart zu erodieren und Kommunen im ganzen Land noch einmal zu verunsichern über eigentlich zugesagte Mittel, das geht nicht, liebe Regierung.

(Florian Oßner [CDU/CSU]: Aber das ist doch Standard bei der Ampel!)

Deswegen war es das einzig Richtige und Gute, dass die Sprecher/-innen der AG Haushalt der Koalitionsfraktionen das zurückgenommen haben und die Fahrradparkhäuser tatsächlich so gebaut und so finanziert werden können, wie der Bund und das Parlament das zugesagt haben. Meine Damen und Herren, das ist auch eine Frage des Respekts zwischen Regierung und Parlament. Und es ist am Ende auch eine Frage des Respekts vor der Gewaltenteilung in dieser Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, liebe Union, Sie müssen diesem Haushalt nicht zustimmen, und Sie werden diesem Haushalt auch nicht zustimmen. Aber Sie werden in einer ruhigen Minute zugeben müssen, dass das, was wir hier beschließen, unglaublich wichtig ist für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land und dass auch zukünftige Regierungen davon profitieren werden, dass dieser Investitionsstau endlich angegangen wird, –

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin.

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– ein Investitionsstau, der sich unter Ihrer Regierung in Jahrzehnten gebildet hat.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das Wort hat Felix Schreiner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Schäffler [FDP]: Jetzt kommen die Änderungsanträge!)