Rede von Erhard Grundl documenta

07.07.2022

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Jongen, ich weiß nicht, was ekelhafter ist: die Durchsetzung Ihrer Partei mit Personen, die offen Nazis sind,

(Robert Farle [AfD]: Hören Sie doch auf mit dem Quatsch! – Stephan Brandner [AfD]: Herr Grundl, erzählen Sie doch nicht so einen Mist! Reden Sie mal zum Thema! – Weitere Zurufe von der AfD)

oder die Art und Weise, wie Sie hier den Kampf gegen Antisemitismus instrumentalisieren. Das ist schäbig!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – René Bochmann [AfD]: Das sind Fakten!)

Antisemitismus ist ein Angriff auf die Menschenwürde, den wir niemals akzeptieren werden. Das auf der Documenta erst ausgestellte und schließlich entfernte Bild ist so ein Angriff. Die Herabwürdigung und Diffamierung und der Hass auf Jüdinnen und Juden können sich niemals auf die Kunstfreiheit berufen.

(Stephan Brandner [AfD]: Frau Roth war da anderer Meinung!)

Sie sind die Gesichtszüge der menschenfeindlichen Fratze, die wir bekämpfen müssen.

In dieser Debatte heute geht es um politische Verantwortung.

(Zurufe von der AfD)

Die Documenta ist kein Pilz, der über Nacht aus dem Boden sprießt. Sie wird vier Jahre lang vorbereitet. Was ist in dieser Zeit geschehen? Die frühere Kulturstaatsministerin Grütters und die Kulturstiftung des Bundes haben sich 2018 aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen. Der Aufsichtsrat müsse reformiert werden, war damals die Ansage. Nur: Eine Reform ist nie passiert. Nach jetzigem Kenntnisstand hat die BKM unter CDU/CSU-Führung die Dinge laufen lassen und nichts gemacht. Frau Connemann, es ist wie in dem alten Hank-Williams-Song: Wer mit Steinen schmeißt, sollte aufpassen, wenn er im Glashaus sitzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Insgesamt hätte ein Dialog stattfinden müssen zwischen den Kuratorinnenkollektiven, den Documenta-Verantwortlichen, der Findungskommission und der Öffentlichkeit. Das ist nicht geschehen.

(Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Claudia Roth hat auf die im Raum stehenden Antisemitismusvorwürfe reagiert. Erste Gespräche hat sie im Januar kurz nach Amtsantritt mit dem Aufsichtsrat und dem Kuratorenteam geführt. Mehrere Gespräche fanden mit dem Zentralrat der Juden statt. Während ihrer Israel-Reise im Mai hat sie das Thema angesprochen, weitere Gespräche mit den Verantwortlichen folgten. Der Documenta-Leitung und dem Aufsichtsrat hat sie vorgeschlagen, Expertise aus der Antisemitismusforschung und dem Zentralrat der Juden in Form eines international besetzten Beirats einzuholen. Alle diese Vorschläge wurden von der Documenta-Leitung und dem Aufsichtsratsvorsitzenden vehement zurückgewiesen.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Connemann aus der CDU/CSU-Fraktion?

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein.

(Karsten Hilse [AfD]: Feige!)

Das war und ist eine eklatante Fehleinschätzung des drohenden Schadens durch die Verantwortlichen in Kassel.

Es geht jetzt auch um die Zukunft der Documenta, einer der bedeutendsten Kunstausstellungen der Welt. Claudia Roth hat hierzu einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt und klargemacht: Wer Staatsgeld will, muss Voraussetzungen erfüllen; das heißt vor allem: klare Strukturen und Verantwortlichkeiten und ein uneingeschränktes Bekenntnis zur Pluralität der deutschen Gesellschaft, das jüdische Künstlerinnen und Künstler selbstverständlich mit einschließt.

Meine Damen und Herren, was auf der Documenta 15 passiert ist, ist unverzeihlich. Aber wenn CDU und CSU hier in Übereinstimmung mit der AfD, wie gestern geschehen, ein Tribunal gegen die deutschen Kulturinstitutionen per se inszenieren wollen, dann ist das eine schäbige Aufführung, –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– die ich aufs Schärfste zurückweise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Sie lenken ab, Herr Grundl!)

Die Anträge von CDU/CSU und AfD –

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– werden wir ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Grundl. Für die Union spricht noch eine Rednerin; sie kann die Überlegungen in ihre Rede einbauen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Bei vier Minuten? Na, klar!)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Petra Sitte, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)