Rede von Schahina Gambir Einsetzung Enquete-Kommission Afghanistan

08.07.2022

Schahina Gambir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nächsten Monat jährt sich der chaotische Abzug der Streitkräfte aus Afghanistan zum ersten Mal. Seit diesem Tag laufen die Uhren rückwärts. Frauen und Mädchen werden unsichtbar gemacht. Sie werden ihres Rechts auf Bildung und Teilhabe beraubt. Ihre Hoffnung auf Gleichberechtigung und Sicherheit hat sich nicht erfüllt. Gleiches gilt für die Ortskräfte, für Frauenrechtler/-innen, Medienschaffende und Mitarbeitende von Zivilorganisationen. Sie haben sich über Jahre für Fortschritt eingesetzt. Ihre Erfolge wurden innerhalb kürzester Zeit rückgängig gemacht. Sie alle leben heute in großer Gefahr und in Angst.

Die Lebensumstände all dieser Menschengruppen spiegeln dabei die aktuelle Lage im Land wider. Der Alltag und das Leben in Afghanistan sind von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit geprägt. Das Ergebnis unseres 20-jährigen militärischen, entwicklungspolitischen, humanitären und diplomatischen Engagements in Afghanistan ist leider kein demokratisches und sicheres Land auf dem Weg in eine bessere Zukunft. Im Gegenteil: Das Ergebnis ist ein geschundenes Land in einem katastrophalen Zustand, aktuell ohne Perspektive auf Besserung. Das muss aufgearbeitet werden.

Genau hier wird die Enquete-Kommission ansetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie wird einen Teil dazu beitragen, dass wir unser Versprechen einlösen, dass wir Verantwortung übernehmen und dass wir Afghanistan nicht vergessen. Wir werden systematisch und selbstkritisch analysieren, wie es zu diesem schweren Versagen auf verschiedenen Ebenen kommen konnte. Dazu werden wir mithilfe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Menschen aus der Praxis die verschiedenen Strukturen und Prozesse beleuchten. Wir werden die Fehler, die wir gemacht haben, erkennen und benennen. Und wir werden für die Zukunft erarbeiten, wie es besser gehen kann. Das sind wir den Menschen in Afghanistan schuldig, die so viel Hoffnung in ihr Land hatten, die sich für eine bessere Zukunft, für Freiheit eingesetzt haben. Das sind wir aber auch den Soldatinnen und Soldaten und den Polizistinnen und Polizisten schuldig, die wir in die Einsätze geschickt haben, und all denjenigen, die sich über Jahre im Rahmen ihrer Arbeit für die Zivilgesellschaft für ein besseres Afghanistan eingesetzt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit gehört leider auch: Die Enquete-Kommission wird viel zurückblicken, und die Lehren, die wir daraus für die Zukunft ziehen, helfen aktuell nicht, nicht gegen die Taliban und nicht gegen die dramatischen Auswirkungen des Erdbebens. Wir müssen zukünftig also auch dem anderen Teil unserer Verantwortung nachkommen und den Menschen in Afghanistan in ihrer aktuellen Lage helfen, besonders den Frauen und Mädchen, den Medienschaffenden und den kritischen Stimmen im Land. Ihnen gebührt unsere volle Unterstützung; denn sie sind die einzige Hoffnung.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Dr. Johann Wadephul hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)