Rede von Britta Haßelmann Einsetzung Enquete-Kommission „Direkte Demokratie auf Bundesebene“

19.04.2018

Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Rechtsstaat und unsere repräsentative Demokratie sind unsere größten und wichtigsten Errungenschaften als Gesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die verfassungsrechtliche Werteordnung des Grundgesetzes ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in unserem Land.

Die Demokratie in Deutschland und in Europa voranzubringen und direkte demokratische Entscheidungen zu ermöglichen, ist seit jeher Ziel grüner Politik. Aber ebenso bedeutend ist der aktive Menschenrechts- und Minderheitenschutz. Deswegen gehört dieses Thema in jede Debatte über repräsentative und direkte Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Der Schutz von Minderheiten gehört genauso zur Demokratie wie die Mehrheitsentscheidung; denn durch sie werden die Entscheidungen der Mehrheiten legitim.

Es spricht viel dafür, unsere Demokratie weiterzuentwickeln. Wir Grüne haben seit jeher für unsere repräsentative Demokratie ein klares Bekenntnis abgegeben. Wir haben aber immer auch gesagt: Lasst uns überlegen, wie wir diese Demokratie lebendiger machen können. Wie können wir unsere parlamentarische Demokratie, auch auf Bundesebene, ergänzen durch Elemente der direkten Demokratie, durch mehr Beteiligung, mehr Partizipation, mehr und bessere Bürgerbeteiligung bei Gesetzgebungsverfahren, durch die Förderung von Beteiligung und Demokratiebildung von Kindern und Jugendlichen – meine Damen und Herren, das war heute noch gar nicht Thema; im Antrag steht auch dazu nichts – und – bedeutend für diese Frage – durch die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und unserer lebendigen Zivilgesellschaft? Das alles, meine Damen und Herren, müssen wir zusammen denken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Thema ist viel komplexer, als uns diese Eingangsrede und vor allen Dingen dieser wirklich leidenschaftslose und dahingefluppte Antrag vormacht.

(Widerspruch bei Abgeordneten der AfD – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Setzen Sie sich mit dem Thema auseinander!)

Uns ist bewusst, dass die direkte Demokratie auch für menschenverachtende Hetze, für Diskriminierung, für den Abbau von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten von Menschen benutzt und missbraucht werden kann. Meine Damen und Herren, deshalb ist es vielleicht kein Wunder, dass in diesem Antrag das Wort „Minderheitenschutz“ überhaupt nicht vorkommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es geht um eine Enquete-Kommission!)

Die Frage nach dem Verhältnis von Elementen direkter Demokratie zum Rechtsstaat – dem gilt unsere Sorge; dafür tragen wir Verantwortung – ist in diesem Antrag überhaupt nicht enthalten. Da steht nichts von Minderheitenschutz. Meine Damen und Herren, hier im Deutschen Bundestag, in den Landtagen und bei Ihren öffentlichen Wahlkampfauftritten ist deutlich geworden: Sie wollen Kampagnen gegen Gotteshäuser, gegen Flüchtlinge und alles, was nicht in Ihr Weltbild passt.

(Jürgen Braun [AfD]: Wie bitte? Gegen Gotteshäuser? Sie haben doch was gegen Gotteshäuser, Frau Haßelmann! Wir nicht!)

Und dazu wollen Sie den Hebel der direkten Demokratie nutzen.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Was ist denn das für ein Schwachsinn?)

Angesichts dessen müssen wir uns schützend davorstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Wir wollen die Debatte über direkte Demokratie, und wir wollen mehr Elemente direkter Demokratie. Ich finde, diese Debatte ist noch nicht zu Ende, Friedrich Straetmanns. Ich finde, diese Debatte muss ganz intensiv geführt werden.

(Martin Erwin Renner [AfD]: Genau das ist euer Dilemma!)

Aber wir wollen keine Plattform schaffen für Hetzkampagnen gegen Menschen anderer Herkunft, gegen Lesben und Schwule, Obdachlose, Andersdenkende, Andersgläubige oder sozial Benachteiligte.

(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Es geht um Volksabstimmungen!)

Wenn ich mir die letzten fünf Monate im Deutschen Bundestag vor Augen führe, dann weiß ich, dass ich allen Grund habe, darüber zu sprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Lachen bei der AfD)

Meine Damen und Herren, es gibt einen großen Unterschied zwischen der AfD und uns hinsichtlich des Anspruchs bei den direkten Beteiligungen: Sie von der AfD wollen direkte Demokratie statt Rechtsstaat, und wir Grüne wollen mehr direkte Demokratie im Rechtsstaat. Da liegt der ganz entscheidende Unterschied.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Braun [AfD]: Nur heiße Luft, Frau Haßelmann!)

Jetzt lassen Sie mich kurz etwas zum Antrag sagen,

(Lachen und Beifall bei Abgeordneten der AfD – Jürgen Braun [AfD]: Oh, doch noch!)

zur Forderung nach Einsetzung einer Enquete-Kommission. Die drei Forderungen, die der Kollege hier vorgetragen hat, die für die AfD im Hinblick auf direkte demokratische Beteiligungen wichtig sind, stehen überhaupt nicht im Antrag.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Es geht um eine Enquete-Kommission!)

Vielleicht sollten Sie das mal klären. Herr Haug, Sie haben hier drei Forderungen der AfD genannt. Aber warum stehen die nicht im Antrag? Das ist komisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE – Zuruf des Abg. Jochen Haug [AfD])

Das kommt wahrscheinlich daher, dass Sie aus der Hüfte geschossen haben

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das wäre ja nichts Neues!)

und das Ding erst gestern eingebracht haben. Ich finde, wir sollten mit mehr Ernsthaftigkeit, mit mehr Souveränität und mit mehr Seriosität an diese komplexen Fragen gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Genau! – Beifall des Abg. Fabian Jacobi [AfD])

Wir lassen uns doch von so einem Antrag, der mal eben runtergeschrieben wurde und noch nicht einmal in Einklang zu bringen ist mit den drei Forderungen, die der Kollege hier vorgetragen hat, nicht vorführen.

Meine Damen und Herren, vor der Einsetzung einer Enquete-Kommission braucht man Zeit für Beratungen und Debatten unter den Fraktionen.

(Zurufe von der AfD)

Sie sollten sich die Beispiele einmal vor Augen halten: Als es um die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, die wir hatten, ging, ist monatelang zwischen den Fraktionen beraten worden, wie wir das machen wollen, welchen Anspruch und welche Ideen jede einzelne Fraktion hat. Auch die Berichterstatter haben sich beraten. Das Gleiche gilt für die Enquete-Kommission zu Wachstum und Nachhaltigkeit.

(Jürgen Braun [AfD]: Was zählt, ist auf dem Platz, Frau Haßelmann! Das ist eine alte Weisheit!)

Auch da haben wir monatelang darüber geredet: Welche Interessen haben die einzelnen Kolleginnen und Kollegen der jeweiligen Fraktionen? Was schlägt eine Fraktion vor, ohne Aufträge an die Bundesregierung zu geben? Um all das, meine Damen und Herren, muss es gehen, und zwar in großer Ernsthaftigkeit.

Hinzu kommt: Die Beteiligung soll bei Ihnen großgeschrieben werden. Sie wird aber ganz kleingeschrieben; denn für die Arbeit der Enquete-Kommission ist nur ein Jahr angesetzt. Das ist ein Witz. Außerdem sollen nur neun Sachverständige und neun MdBs vertreten sein. Und Sie reden von Beteiligung! Was ist das denn, meine Damen und Herren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Da müssen wir uns von Ihnen nichts erzählen lassen. Beteiligung sieht anders aus. Darüber sollten wir jetzt ganz in Ruhe, in aller Ernsthaftigkeit und Seriosität reden. Ihr Antrag hat dafür keine Grundlage gelegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)