Rede von Agnieszka Brugger Einsetzung Untersuchungsausschuss - Afghanistan

23.06.2022

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kaum jemand von uns aus den demokratischen Fraktionen, der letzte Legislaturperiode diesen Sommer erlebt hat, wird, glaube ich, die Anrufe vergessen, die wir erhalten haben, die Verzweiflung, die Bilder, die wir gesehen haben vom Flughafen in Kabul, wo Menschen ihre kleinen Babys den Soldatinnen und Soldaten in die Hand gereicht haben, um sie nach der Machtergreifung der Taliban irgendwie in Sicherheit zu bekommen.

Und ja, es gab gravierende Fehler und schlimme Versäumnisse, die es aufzuarbeiten gilt. Bereits im Sondierungspapier der Ampel haben wir diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss versprochen, und ich freue mich, dass wir heute gemeinsam mit der Union hier mit diesem Untersuchungsauftrag auch liefern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Es ist ein guter Untersuchungsauftrag; denn er ist sehr breit gewählt. Er beginnt sehr früh, schon mit den ganzen Abzugsplänen von Donald Trump, wo vieles dessen vorangelegt war, was wir nachher an dramatischen Entwicklungen gesehen haben. Der Untersuchungsausschuss wird sich darum kümmern, dass wir uns mit der Frage auseinandersetzen, wie es zu diesem Lagebild kam, auf Basis welcher Informationen welche Szenarien und Entscheidungen getroffen und vorbereitet worden sind.

Er wird sich aber auch damit beschäftigen, warum trotz zahlreicher Warnungen und Aufforderungen im März, im April, im Mai, Juni und Juli letzten Jahres die Bundesregierung teilweise nicht gehandelt hat oder, wenn sie gehandelt hat, sehr unpragmatische und auch schwierige Vorschläge gemacht hat für die Ortskräfte und für besonders betroffene und gefährdete Gruppen wie Menschenrechtlerinnen oder Frauenrechtsaktivistinnen.

Ganz ehrlich: Es ist auch gut, dass die Frage der Abschiebungen in diesem Untersuchungsauftrag mit erwähnt ist. Denn es gab Kreise in der damaligen Bundesregierung, die zu der Zeit, als es noch sicherer war und in der man eigentlich hätte Charterflüge organisieren müssen, um die Ortskräfte aus dem Land zu bekommen, sich darum gekümmert haben, wie man in dieser Lage möglichst noch Abschiebeflüge organisiert. Das war verantwortungslos, und auch das muss aufgeklärt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Dann wird es natürlich auch um die Abläufe der Evakuierung gehen, wo wir noch einmal genau hinschauen werden, was wir damals bewusst und aus guten Gründen nicht getan haben.

Dieser Parlamentarische Untersuchungsausschuss ist nicht nur für uns Grüne ein Herzensanliegen und eine Ehrensache; er ist auch Teil unserer Verantwortung – Verantwortung für die Menschen in Afghanistan, die eben nicht mit diesem dramatischen Abzug geendet ist. Auch wenn die Öffentlichkeit nicht mehr so hinschaut und dieser Untersuchungsausschuss eben nur ein Teil der Verantwortung ist, ist es wichtig, dass wir mit der Enquete-Kommission auf die ganzen 20 Jahre Engagement in Afghanistan noch einmal breit und selbstkritisch schauen und daraus Lehren ziehen.

Es muss jetzt darum gehen – auch in dieser furchtbaren Lage, die die Menschen in Afghanistan erleben, nicht nur aufgrund der Regierung der Taliban und der Terrorherrschaft dort, sondern vor allem auch angesichts der dramatischen Folgen des Erdbebens –, dass wir alles tun, um die Menschen dort zu unterstützen, gerade die Frauen, gerade die Mädchen, gerade im Bildungsbereich, ohne die Taliban anzuerkennen und das Regime zu rechtfertigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Teil der Verantwortung ist aber auch das, was die Bundesaußenministerin heute gemeinsam mit der Bundesinnenministerin angekündigt hat. Ich hoffe, dass den Eckpunkten im Juli dann jetzt auch schnell entsprechende und großzügige Taten folgen werden, um das Aufnahmeprogramm endlich auf den Weg zu bringen. Auch das hat etwas mit den Versäumnissen des letzten Jahres zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, in diesem Untersuchungsausschuss geht es nicht darum, irgendjemanden vorzuführen oder an den Pranger zu stellen, sondern Licht ins Dunkle zu bringen, aufzuklären und die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Es geht darum, Prozesse, Strukturen und Fehler zu beleuchten und zu erkennen, was man tun muss, um genau das in Zukunft abzustellen.

Aber ja, es geht auch darum, Verantwortung zu benennen. Deshalb möchte ich am Ende auch noch darauf zu sprechen kommen, dass wir eine Verantwortung haben für die Menschen, die wir in diesen 20 Jahren in die Einsätze geschickt haben, und auch für die Menschen, die sich einfach so, beispielsweise im Rahmen einer NGO, dort für eine bessere Zukunft engagiert haben.

Heute ist Tag des Peacekeeping. Vorhin war ich mit einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen, auch der Außenministerin, der Innenministerin und der Verteidigungsministerin, im Bundesinnenministerium, wo wir Polizistinnen und Polizisten, zivile Expertinnen und Experten und auch Soldatinnen und Soldaten für ihr Engagement geehrt haben, wo wir ihre Berichte, ihre Motivation gehört haben.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle ganz besonders all denjenigen danken, die sich nicht nur in 20 Jahren dort engagiert haben, sondern auch angesichts der schwierigen Diskussionen, die wir im letzten Sommer über die Rückkehr der Soldatinnen und Soldaten hatten, die Evakuierungsmission durchgeführt haben und die aus meiner Sicht nicht genug geehrt worden sind.

Letztes Jahr haben unter den schlimmsten und schwierigsten Bedingungen sehr viele Menschen, trotz aller Fehler und Versäumnisse, sowohl im Auswärtigen Amt als auch im Verteidigungsministerium, in der Bundeswehr und auch viele Zivilistinnen und Zivilisten aus NGOs, die selbst Flüge organisiert haben, dafür gesorgt, dass Menschen gerettet werden. Ihnen gilt unser tiefster Dank. Heute ist der Tag, das noch einmal zu würdigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am Ende möchte ich mich wirklich ganz besonders noch bei der Kollegin Heinrich sowie bei den Kollegen Lambsdorff und Wadephul bedanken. Der Verhandlungsprozess mit Ihnen war wirklich so, wie ich mir Politik im besten Sinne vorstelle. Grüne und FDP hatten es da etwas leichter. Wir waren in der letzten Legislaturperiode in der Opposition. Wir mussten uns nur anhören: Werdet ihr denn eigentlich liefern, wenn ihr dann Regierungsverantwortung tragt? – Sie hatten in der letzten Legislaturperiode die Regierungsverantwortung, und die Verhandlungen waren derart konstruktiv. Sie haben nicht versucht, irgendwas zu blockieren, irgendwie herumzutricksen. Das ist genau die Art von Parlamentarismus und Politik, die die Menschen von uns erwarten, nämlich eine Politik, die sich der Verantwortung stellt, die Fehler aufarbeitet,

(Stephan Brandner [AfD]: Die keine Fehler macht!)

die für die Zukunft lernen will, die auch jenseits der so oft nervigen Rollen von Opposition und Koalition gemeinsam an einem Strang zieht, für die Menschen in Afghanistan, für die Menschen, die wir in die Einsätze geschickt haben.

Deshalb vielen Dank, dass wir diesen Untersuchungsausschuss gemeinsam so auf den Weg bringen können. Hoffentlich können wir genau in diesem Geiste auch in diesem Untersuchungsausschuss zusammenarbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Jetzt erhält das Wort für die AfD-Fraktion Stefan Keuter.

(Beifall bei der AfD)