Foto von Katrin Göring-Eckardt MdB
13.10.2022

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angela Merkel hat in dieser Woche den Nansen-Preis verliehen bekommen. Und was hat

sie damit gemacht? Sie hat ihn den deutschen Flüchtlingshelferinnen und Flüchtlingshelfern gewidmet.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD])

Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, beschreiten jetzt den entgegengesetzten Weg. Sie fallen all denjenigen in den Rücken, die helfen,

die organisieren, die arbeiten – in Verwaltungen, ehrenamtlich, wo auch immer. Das, was Sie mit Ihrem Antrag hier gerade machen, ist, Panik zu schüren. Und Sie

machen das auf dem Rücken der Helfer/-innen, und Sie machen es auf dem Rücken der Geflüchteten.

(Alexander Throm [CDU/CSU]: Haben Sie den Antrag gelesen?)

Ich finde das absurd und der demokratischen Diskussion hier nicht würdig, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Jetzt wurde entlarvt, dass ihr Vorsitzender, Friedrich Merz, seinen unsäglichen Vorwurf gegen die Geflüchteten aufgrund einer anonymen

Telegram-Nachricht gemacht hat.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ach, Frau Göring-Eckardt, das ist doch unter Ihrem Niveau! – Philipp Amthor [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)

Herr Merz, ich will es mal so ausdrücken: Ich glaube nicht, dass Sie wollten, dass Sie damit positiv in den russischen Propagandamedien erscheinen.

Aber, ich finde, es sollte für Sie, für alle, die so agieren, eine Warnung sein: Wenn man auf dem Rücken der ukrainischen Geflüchteten solche Nummern abzieht,

dann ist das die Sache Putins, die da betrieben wird. Vielleicht machen Sie es ohne Absicht. Aber bitte überlegen Sie beim nächsten Mal ganz genau, was Sie

sagen, damit das nicht geschieht, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

In Ihrem Antrag schimpfen Sie nun auf Sonderprogramme. Was genau meinen Sie? Meinen Sie die afghanischen Ortskräfte, deren Ausreise schwierig genug

ist und bei denen wir im Wort sind? Meinen Sie die getrennten Familien, deren Nachzug Sie nicht wollen und deren Mitgliedern die Integration bei uns umso

schwerer fällt, je länger sie getrennt sind? Meinen Sie Kinder, die dableiben müssen, damit ein Elternteil zu den anderen Kindern kann? Sorry, ich verstehe es

nicht. Wen meinen Sie mit Sonderprogrammen? Meinen Sie etwa diejenigen, die besonders in Not sind? Es drängt mich, an dieser Stelle emotional zu werden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, sachlich bleiben!)

aber ich probiere es trotzdem anders.

Ja, die Kommunen erleben eine große Herausforderung: 1 Million Menschen aus der Ukraine sind gekommen; nicht alle sind geblieben. Vernünftigerweise

stellen sich die Kommunen jetzt auch auf einen Kriegswinter in der Ukraine ein. Jetzt kann man Grenzen dichtmachen oder sagen: Serbien soll das regeln. Das

haben Sie in Ihrem Antrag ja so deutlich gemacht.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Da geht es um illegale Migration! Vermischen Sie nicht die Ukrainer mit illegaler Einreise! Das ist nicht in

Ordnung!)

Man kann Panik schüren, oder man kann die Sache einmal nüchtern betrachten: „Humanität und Ordnung“ heißt es und nicht „Humanität und Abschottung“,

meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Die knapp 135 000 Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben – es ist hier schon gesagt worden –, sind vor allem aus Syrien, Afghanistan und Irak.

Was wollen Sie diesen Menschen mit Ihrem Antrag eigentlich sagen?

Natürlich würde jeder von uns sagen: Wir brauchen schnelle Verfahren und in der Folge schnelle Rückführungen, damit die Menschen wissen, woran sie

sind. Das ist überhaupt nicht das Thema. Und ja, die Unterbringung von so vielen Menschen ist ein enormer Kraftakt für unsere Kommunen und die Strukturen vor

Ort. Es ist ein guter Schritt, dass sich Bund, Länder und Kommunen zusammensetzen und dass alle gemeinsam gesagt haben: Ja, auf der MPK brauchen wir Klarheit

darüber, wie die Finanzierung funktioniert. Da sind wir uns einig.

(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Seit acht Monaten steht das aus!)

Aber, meine Damen und Herren, Push und Pull, das sind eingebildete Faktoren.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist wie mit eingebildeter Krankheit. Ich meine, Sie können sich ja mal die Aussagen aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu anschauen,

dann sehen Sie, dass es Quatsch ist.

(Nina Warken [CDU/CSU]: Eben nicht!)

Lassen Sie uns doch andersherum agieren. Herr Oster hat das übrigens gerade gesagt: Lassen Sie es uns mal andersherum machen. – Wir könnten doch

versuchen, uns auf unsere Stärken zu besinnen – Sie könnten das auch – und dafür zu sorgen, dass Integration gelingt, dass wir Chancen für mehr Arbeitskräfte

haben. Es geht längst nicht mehr nur um Fachkräfte. Fragen Sie mal die Bauwirtschaft oder das Handwerk.

Meine Damen und Herren, wir könnten gerne darüber streiten, wie das am besten gelingt. Aber ich bitte Sie inständig: nicht auf dem Rücken der

geflüchteten Menschen. Wer aus dem Krieg flieht, der braucht unsere Hilfe und nichts anderes.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das steht nicht zur Diskussion!)

Ich weiß, dass manche von Ihnen den Merkel-Satz „Wir schaffen das“ nicht mögen. Ich würde ganz einfach mal sagen: Es ist die ganz normale Politik,

dass man Dinge schafft. Und diese beruht auf Humanität, auf Ordnung, auf gutem Willen, guter Zusammenarbeit und unserem Grundgesetz.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion Detlef Seif.

(Beifall bei der CDU/CSU)