Rede von Filiz Polat Einwanderung, Antidiskriminierung und Antirassismus

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27.11.2020

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Rassismus ist für viele Menschen in Deutschland Alltag. Schon Kinder müssen dies früh erleben: Ihr Äußeres, ihre Namen und die Vorurteile, die damit verknüpft sind, verfolgen sie auf Schritt und Tritt. Schmerzlich müssen sie erfahren – ohne den Begriff bereits zu verstehen –, dass Rassismus ihr ständiger Begleiter ist. Das können und wollen wir nicht länger verantworten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Meine Damen und Herren, Rassismus behindert, grenzt aus, verletzt – sei es auf dem Wohnungsmarkt, auf dem Arbeitsmarkt oder auf der Schulbank. Rassismus führt dazu, dass viele Menschen nicht sicher sind. Die schrecklichen Anschläge in Lichtenhagen, Mölln, Solingen, die Mordserie des NSU, Halle und Hanau und der Mord an Walter Lübcke: Das sind traurige Höhepunkte rassistischer Gewalt. Das ist die Realität in Deutschland, auch noch im Jahr 2020. Das muss sich endlich ändern, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das sind wir den Opfern rassistischer Gewalt schuldig. Das sind wir aber auch jedem einzelnen Menschen, der in Deutschland Rassismus erfährt, schuldig. Es muss Schluss sein mit dem Weiter-so!

Meine Damen und Herren, deshalb war die Einsetzung des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus ein Meilenstein in der Geschichte der Bundesrepublik, ein Meilenstein ohne Frage,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

ein Meilenstein, den wir aber vor allem dem unermüdlichen Engagement der postmigrantischen Zivilgesellschaft zu verdanken haben. Dafür möchten wir von Herzen Danke sagen: Danke schön!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat nun also einen Maßnahmenkatalog vorgelegt. Die Begeisterung darüber – vor allem bei der SPD – verwundert mich aber, ehrlich gesagt, schon; denn der vielversprochene Paradigmenwechsel ist das sicherlich nicht. Mehr Rechte? Mehr Teilhabe? Mehr Schutz vor Diskriminierung? Fehlanzeige!

Rassismus ist tief in unseren Strukturen, in unserer Gesellschaft, in uns verwurzelt. Generalsekretär Lars Klingbeil verkennt deshalb das Problem, wenn er sagt, wir müssten uns gegen die Rassisten stellen. Wir dürfen hier nicht nur auf den rechten Rand zeigen – wir müssen bei uns anfangen, wir müssen unsere eigenen Strukturen und Muster konsequent hinterfragen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Ja, das ist oft unangenehm, keine Frage, aber notwendig – notwendig, wenn wir eine antirassistische Einwanderungsgesellschaft gestalten wollen.

Meine Damen und Herren, strukturelle Probleme lassen sich nur mit strukturell nachhaltigen Maßnahmen bekämpfen. Deshalb legt meine Fraktion hier heute einen Antrag im Parlament vor, eine kohärente Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Rassismus. Ich möchte drei Punkte hervorheben, weil sie wirklich im Maßnahmenkatalog zu wenig oder gar nicht vorkommen:

Erstens, ein effektiver Schutz vor Diskriminierung. Wir brauchen endlich ein Antidiskriminierungsgesetz, das auch im öffentlichen Bereich schützt, ein AGG mit Verbandsklagerecht, damit die Betroffenen nicht nur auf sich selbst angewiesen sind. Wir brauchen eine Antidiskriminierungsstelle, die finanziell und personell endlich für ihre große Aufgabe gewappnet ist, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zweitens. Unsere plurale Demokratie kann doch nur funktionieren, wenn endlich alle mit am Tisch sitzen, mitreden, mitbestimmen können. Ein Partizipationsgesetz, wie die Verbände es seit Jahrzehnten fordern, muss auch auf Bundesebene endlich durchgesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die interkulturelle Öffnung, die diversitätssensible Öffnung der Institutionen muss endlich gesetzlich verankert und aktiv gefördert werden.

Ja, und 20 Jahre nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts erwarten wir eine Weiterentwicklung statt weiterer Rückschritte, meine Damen und Herren – dann braucht es auch keine Einbürgerungsoffensive mehr.

Meine Damen und Herren, wir legen heute auch eine Grundgesetzänderung vor, mit einem konkreten Vorschlag und Angebot für die Ersetzung des Wortes „Rasse“. Aus unserer Sicht muss diese Änderung allerdings Hand in Hand gehen mit einer Gewährleistungspflicht des Staates. Wir würden uns wirklich freuen, wenn dieses Vorhaben noch in dieser Legislaturperiode mit breiter Mehrheit im Parlament verabschiedet wird, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit unserem Antrag tragen wir erstmals eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Rassismus in das Parlament, in die Herzkammer unserer Demokratie. Für diese Demokratie sind Antirassismus und die Gestaltung unserer Einwanderungsgesellschaft zentral. Denn Demokratie bedeutet doch letztendlich die ständige Aushandlung und respektvolle Diskussion – ja, auch mal im Streit –, um am Ende auf komplexe Fragen komplexe Antworten zu finden. Hierfür ist das Parlament der richtige Ort, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach der Erleichterung über die Einsetzung des Kabinettsausschusses kam vorgestern die Ernüchterung. Aber heute habe ich, haben wir die Hoffnung, dass wir gemeinsam bei aller Debatte das gleiche Ziel erreichen wollen: eine antirassistische Gesellschaft. Deshalb freuen wir uns auf die Diskussion mit Ihnen. Denn wir Demokratinnen und Demokraten sind uns im Grunde einig. Um es mit den Worten von Frau Staatsministerin Widmann-Mauz zu sagen: Wir müssen Rassismus erkennen, benennen und bekämpfen. – Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Polat. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thorsten Frei.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)