Rede von Corinna Rüffer Einzelplan Arbeit und Soziales

05.07.2018

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herzlichen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Demokratinnen und Demokraten hier im Haus! Wir brauchen eine Politik, die Menschen nicht gegeneinander ausspielt. Wir brauchen eine Politik, die dafür sorgt, dass jeder Mensch in diesem Land in Würde leben kann. – Das sind im Grunde so banale Sätze, dass man sich die Frage stellt, warum man sie artikulieren muss. Aber ich habe den Eindruck, dass es nach den Erfahrungen der letzten Wochen einfach nötig ist, das hier noch mal zum Ausdruck zu bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Da haben sich Mitglieder dieser Bundesregierung in völlig verantwortungsloser Weise über Menschen auf der Flucht geäußert. Es ist mittlerweile so, dass sich sogar diejenigen rechtfertigen müssen, die beklagen, dass diejenigen kriminalisiert werden, die versuchen, auf dem Mittelmeer Menschenleben zu retten. Das ist völlig grotesk.

(Karsten Hilse [AfD]: Das sind Schleuser! Das sind keine Retter!)

– Halten Sie am besten den Mund; sonst flippe ich gleich aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist nicht nur grotesk, sondern das ist auch bedrohlich, und zwar nicht nur für diejenigen Menschen, die in Gefahr sind, im Mittelmeer zu ertrinken – tagtäglich und auch in diesem Moment, in dem wir hier miteinander reden –, sondern auch für die gesamte Gesellschaft und für alle Menschen, die in diesem Land und in unserem Europa leben, und wir müssen dem endlich etwas entgegensetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])

Hannah Arendt, die große politische Philosophin, Lebensretterin, Exilantin, Geflüchtete, hat das, worum es aus meiner Sicht geht, in etwa so formuliert: Die Missachtung der Grundrechte betrifft in einer ersten Phase stets nur Flüchtlinge und andere Minderheiten, bevor sie sich in einer zweiten Phase generalisieren kann. – Das sollte uns zu denken geben.

Liebe Bundesregierung, die Leidenschaft, die Sie in den letzten Wochen dafür aufgebracht haben, sich gegenseitig fertigzumachen – Sie von der SPD haben dazu nichts gesagt; deswegen sind Sie nicht angesprochen; aber es ist auch traurig –, die Art und Weise, wie Sie ei­nander angegangen sind, das ist nicht vorbildlich für diese Republik, und das ist nicht gut für die Demokratie in diesem Land. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn Sie die Leidenschaft, die Sie in diesen Streit hineingelegt haben, darauf verwendet hätten – das können Sie immer noch tun –, die wichtige Frage zu stellen, die wir seit Monaten, seit Jahren eigentlich zu diskutieren haben,

(Zuruf von der AfD: Die stellen wir auch!)

wie wir diese gespaltene Gesellschaft wieder versöhnen können,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

wie wir dazu kommen können, dass jeder Mensch in dieser Gesellschaft seinen Platz findet, wie wir eine inklusive Gesellschaft hinbekommen.

Ich meine, dass die Antwort darauf nicht so wahnsinnig kompliziert ist. Es geht darum, diejenigen zu stärken, die am Rande stehen. Es geht darum, denjenigen eine Stimme zu geben, die normalerweise nicht gehört werden. Es geht um Empathie statt Angst. Ich finde, die sollten wir doch aufbringen in diesem Hohen Haus, gerade die Leute, die im Ausschuss für Arbeit und Soziales sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir drängen die Spaltung zurück, indem wir den Leuten das Gefühl geben, dass dieser Staat für sie da ist, wenn sie ihn brauchen, dass dieser Staat sie in dieser Situation nicht gängelt. Das Gegenteil passiert aber viel zu häufig.

Ich bin gebeten worden, diese Rede zu halten. Ich sage mal: Das ist gar nicht so einfach. Man hält lieber fröhliche Reden und redet irgendwie nach vorn. Aber es geht hier wirklich darum, Leerstellen zu benennen, zu sagen, dass wir die großen Aufgaben nicht im Blick haben, dass wir uns im Kleinen verfangen, anstatt sozusagen an den wesentlichen Fragen zu arbeiten.

Man kann sich bemühen, in diesem Haushalt irgendwie Stellen zu finden, an denen man sehen kann, dass diese Regierung an der inklusiven Gesellschaft arbeitet. Ich muss Ihnen sagen: Ich sehe diese Stellen nicht. Ich sehe die strukturellen Veränderungen nicht, die es bräuchte.

Bestimmte Personengruppen geraten völlig aus dem Fokus. Eine Personengruppe, die mir besonders am Herzen liegt, das sind Menschen mit Behinderungen. Diese Personengruppe ist dem Minister ein Wort wert. Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede ein Mal den Begriff „Behinderung“ verwendet, und das ist schlicht und ergreifend schockierend,

(Otto Fricke [FDP]: Ach, Glücksspiel!)

weil so viel zu tun wäre. Sie haben beim Bundesteilhabegesetz mal gesagt: Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz. – Sie wissen, was im Bereich der Barrierefreiheit, im Bereich der Arbeit los ist. Menschen mit Behinderungen sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen, und Sie tun schlicht und ergreifend nichts.

(Antje Lezius [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

Die Würde aller Menschen in diesem Land ist unantast­bar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das sollten Sie sich mal hinter die Ohren schreiben. Wir haben viel zu tun.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Kerstin Tack [SPD]: Ganz doll an der Sache vorbei!)