Rede von Kerstin Andreae Einzelplan Wirtschaft und Energie
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Altmaier, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten? – Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Sie haben im März gesagt, Sie wollen die soziale Marktwirtschaft angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wetterfest machen. Heute und auch in den Haushaltsberatungen im Mai haben Sie gesagt: Die Wirtschaft läuft rund, das Wachstum ist stabil, der Aufschwung geht ins neue Jahr. Die Wirtschaftsforschungsinstitute sagen Ihnen etwas anderes und verweisen auf große Risiken. Was setzen Sie diesen Risiken eigentlich entgegen? Realität ist, dass wichtige Fragen zu Themen wie Klimaschutz, Digitalisierung, Forschung und Fachkräftemangel in die Zukunft verschoben werden. Das ist mut- und ambitionslos.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich hatte Ihnen ziemliche Vorschusslorbeeren gegeben, weil mich die erste Rede von Ihnen überzeugt hat. Aber schöne Reden reichen halt nicht aus. Im „Handelsblatt“ vorgestern durften wir über Ihr Haus lesen, Sie würden gerne gestalten, müssen sich aber aufs Verwalten beschränken oder „vom Wirtschaftsminister werden wir nur vertröstet, … es fehle jeder Gestaltungswille“. Können Sie eigentlich nicht, oder wollen Sie nicht? Ich sage Ihnen: Wir erwarten deutlich mehr von Ihnen, und auch dieses Land erwartet deutlich mehr von Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Im Koalitionsvertrag heißt es: Neuer Aufbruch für Europa, neue Dynamik für Deutschland, erfolgreiche Wirtschaft für Wohlstand. Aber was erleben wir? Masterplan-Allüren, Schlagbaumphantasien und die Dramen der letzten Tage. Der Geist von Schengen wird untergraben. Ich hätte von Ihnen als Wirtschaftsminister hier ein klares Wort erwartet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Was ist so schwer daran, den Satz zu sagen: „Geschlossene Grenzen schaden der Wirtschaft und bedrohen den Wohlstand“? Diesen Satz hätten Sie sagen müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir haben Ihr Haus gefragt: Wie groß ist eigentlich der wirtschaftliche Schaden von Grenzschließungen? Der Staatssekretär konnte gerade mal das ifo-Institut zitieren mit: Na, es kostet so 3 Milliarden Euro pro Jahr. – Es wäre doch eigentlich angebracht, dass Sie das mal kalkulieren. Der Deutsche Speditions- und Logistikverband ist da deutlich weiter. Die haben das für sich durchgerechnet. Lieferketten und Produktion werden gefährdet, kleine Geschäfte in Grenznähe sorgen sich, von grenzüberschreitenden Pendlern will ich gar nicht reden. Ist das die versprochene neue Dynamik für Deutschland? Auf der Öresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden gibt es wieder Grenzkontrollen. Dadurch entsteht ein wirtschaftlicher Schaden von 300 Millionen Euro pro Jahr. Juncker sagt: „Wer Schengen killt, … wird den Binnenmarkt zu Grabe tragen.“ Wo sind Sie eigentlich? Juncker meldet sich zu Wort, Oettinger meldet sich zu Wort,
(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das sind die Richtigen!)
aber der Wirtschaftsminister ist in seiner Rolle nicht angekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zum Thema Marktwirtschaft. Sie sagen, Sie wollen die soziale Marktwirtschaft weiter beleben. Unsere grüne Position ist da ganz klar: So viel Staat wie nötig und so viel Markt wie möglich. Aber da passiert ja nichts; und jetzt kommen Sie mir bitte nicht damit, dass Sie erst 100 Tage im Amt sind und dass es diese Koalition erst 100 Tage gibt. Diese Koalition ist die Fortführung der letzten Koalition.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Forschungsförderung stand schon im letzten Koalitionsvertrag, übrigens auch im vorletzten. Wir haben sie wieder nicht. Sie ist wieder nicht im Haushalt abgebildet. Eine Gründeroffensive steht in diesem Koalitionsvertrag, sie stand auch im letzten und im vorletzten. Wo ist denn Ihr Gründerzentrum, das Sie errichten wollten? Wo ist denn Ihr Kompetenzzentrum? Wo ist denn Ihr Kampf für gute Arbeit? Hubertus Heil macht es Ihnen an dieser Stelle vor. Er sagt: Wir machen eine Offensive im Hinblick auf Bildung für neue Arbeit. Arbeit 4.0 umsetzen – was hören wir dazu vom Wirtschaftsminister? Die Umweltministerin sagt etwas zur CO 2 -Bepreisung. Und was hören wir dazu vom Wirtschaftsminister? Das ist ein echtes Trauerspiel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dadurch, dass Sie „Erfolgreiche Wirtschaft für den Wohlstand von morgen“ so plakativ in den Raum stellen, liefern Sie letztlich noch gar nichts. Machen Sie Deutschland attraktiv für Fachkräfte. Schaffen Sie legale Zugangswege nach Deutschland. Wir sind auf Fachkräfte und auf Zuwanderung angewiesen,
(Zuruf des Abg. Jürgen Braun [AfD])
auch wenn Sie das nicht verstehen wollen. Das ist notwendig für die Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Jürgen Braun [AfD]: 100 000 Ingenieure aus Syrien!)
Da wird der Wirtschaftsminister gebraucht.
Wir haben in den Haushaltsberatungen zu all diesen Punkten Vorschläge gemacht, damit es vorangeht. Leider haben Sie sich mit wildgewordenen Kollegen und Schimären beschäftigt und nicht mit der Gestaltung dieses Landes. Das ist ein echtes Trauerspiel. Tut mir leid, dass ich das so sagen muss.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)