Rede von Saskia Weishaupt Endometriose

Saskia Weishaupt MdB
10.11.2022

Saskia Weishaupt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dittmar! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Marie ist 13, als sie das erste Mal ihre Periode bekommt. Nach einem Jahr treten plötzlich starke Schmerzen auf – während der Menstruation, aber auch ganz unabhängig von der monatlichen Blutung. Schmerzen, die so stark sind, dass sie nicht stehen, sitzen oder liegen kann, die ganz plötzlich auftreten und sich über Stunden, gar Tage hinziehen. Beim Toilettengang ist es zum Teil so unerträglich, dass sie ohnmächtig wird. Sie verpasst regelmäßig den Unterricht in der Schule. An Tanzen und Feiern in der Jugend ist nicht zu denken. Die Mitgliedschaft im Turnverein gibt sie letztlich auf. Sie ist körperlich erschöpft. Aber auch psychisch sind die plötzlich auftretenden Schmerzen eine zunehmende Belastung.

Über mehrere Jahre sucht Marie Ärztinnen auf, lässt sich untersuchen – eine Diagnose bleibt aus. Viel zu oft hört sie, sie solle sich nicht so anstellen; denn Schmerzen gehören zur Menstruation schließlich ganz normal dazu. Es vergehen zehn Jahre, bis Marie mit 23 Jahren in einem speziellen Zentrum die Diagnose bekommt: Endometriose. Das klingt für Sie wie ein dramatischer Einzelfall. Ich wünschte, es wäre so.

Endometriose ist die zweithäufigste gynäkologische Erkrankung in Deutschland. Laut dem aktuellen Frauengesundheitsbericht des Robert-Koch-Instituts leidet eine von zehn Frauen an Endometriose. Wir sprechen also hier von schätzungsweise 2 Millionen Erkrankten, und jährlich kommen 40 000 neu gestellte Diagnosen dazu. Um das besser einschätzen zu können: Endometriose gibt es damit öfter als Diabetes Typ 2. Und trotzdem bekommen Betroffene oft zu hören: Endo… was? An was leidest du ganz genau? – Deswegen fangen wir mal von vorne an und betreiben hier auch ein bisschen Aufklärung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Nicole Westig [FDP])

Bei der Endometriose wächst Gewebe, das dem Gewebe der Gebärmutterschleimhaut sehr ähnelt, außerhalb der Gebärmutter. Dieses Gewebe wird häufig als Endometrioseherd bezeichnet. Diese Gewebe sind an ganz verschiedenen Stellen zu finden: im Bauchraum, an den Eierstöcken oder auch am Darm. Dieses Ansammeln von Gewebe außerhalb der Gebärmutter löst ganz verschiedene Beschwerden aus: starke Unterleibsschmerzen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Erschöpfung, Durchfall – und das sind nur einige wenige Symptome, über die Betroffene berichten. All das kann während der Menstruation auftreten, aber auch ganz zyklusunabhängig sein. Die Erkrankung ist damit gekennzeichnet von einer unterschiedlichen Intensität und Ausprägung.

Mittlerweile gibt es Endometriosezentren, die die Diagnose gezielt stellen können. Aber die Ursache bleibt bis heute unklar. Ist die Diagnose erst mal nach langer Zeit gestellt, gibt es keinen Ausblick auf Heilung; denn Endometriose ist eine chronische Erkrankung.

Fassen wir also mal zusammen: Ursache Endometriose – unklar. Diagnose – gestellt nach mehreren Jahren, wenn überhaupt. Heilungschance – 0 Prozent. Und das normale Leben für Betroffene – nahezu unmöglich.

Endometriose ist ein Beispiel, das systematisch zeigt, wie unsere Gesellschaft mit geschlechtsspezifischen Erkrankungen umgeht. Seit über 30 Jahren gibt es den Tag der Frauengesundheit, und trotzdem gilt in unserem Gesundheitssystem der Mann als Norm. Von der Forschung bis hin zu Medikationsplänen: Frauen sind oftmals einfach unsichtbar.

Es hat leider erst einen Regierungswechsel gebraucht, damit sich dieses Thema endlich mal in einem Koalitionsvertrag wiederfindet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Liebe Union, hätten Sie Ihre ganze Energie, die Sie beim Thema Gendern verbraten, mal ernsthaft in die Gendermedizin gesteckt, wären wir heute schon sehr viel weiter!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: Jetzt wird es billig! – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Ihr Antrag zur Endometriose, liebe Union, ist per se erst mal sehr erfreulich, weil Sie erkennen, dass es das Thema gibt. Und ja, Sie waren auch daran beteiligt, dass das Thema Endometriose im Frauengesundheitsbericht des Robert-Koch-Instituts thematisiert wird. Aber das reicht doch nicht! Die Forschung steckt in den Kinderschuhen, weil Sie kläglich versagt haben. Es kann doch nicht sein, dass Forschende berichten, dass sie in den letzten Jahren Crowdfunding betreiben mussten, um forschen zu können, weil Sie die Augen verschlossen haben. Das gehört nämlich auch zur Wahrheit dazu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Deswegen bessern wir als Koalition hier nach: Nächstes Jahr gibt es 5 Millionen Euro für die Forschung.

(Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Das ist mehr Geld, als Sie in den letzten 16 Jahren dafür bereitgestellt haben. Das müssen Sie sich jetzt leider auch mal anhören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: „Deshalb können wir dem Antrag leider nicht zustimmen!“)

Liebe Union, ich freue mich wirklich sehr über eine Sache, und zwar, dass Sie sich dem Kampf einer feministischen Gesundheitspolitik anschließen wollen. Ich hoffe, ich kann auch bei anderen Themen, die Frauen betreffen, auf Ihre Unterstützung zählen: Zugang zu Verhütungsmitteln, gendersensible Forschung, die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen – da gibt es viele Themen, die wir als Koalition noch angehen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Auf Ihre konstruktive Mitarbeit zum Wohle aller Frauen bin ich wahrlich gespannt.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Wollen Sie jetzt zustimmen? – Zuruf von der CDU/CSU: Schlagen Sie doch einfach mal was vor!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Endometriose-Betroffene brauchen unsere politische Unterstützung; denn sie warten, ehrlich gesagt, schon ziemlich lange darauf.

(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Ja, und was machen Sie?)

Geben wir endlich eine Antwort!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Zuruf der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält für Die Linke Heidi Reichinnek.

(Beifall bei der LINKEN)