Rede von Markus Kurth Energiepreispauschale für Versorgungsbeziehende

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13.10.2022

Markus

Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll, wenn man die Rede gerade gehört hat. Ich will auf jeden

Fall darauf hinweisen, dass das Zentrale ist, dass wir jetzt die Konjunktur auch dadurch stärken, indem wir versuchen, Kaufkraftverluste bei den Menschen

möglichst abzumildern. Dazu hat die FDP zum Beispiel auch mit dem Inflationsausgleich im Steuerrecht beigetragen – Stichwort „kalte Progression“; das wollen wir

der Vollständigkeit halber mal nicht verschweigen –, auch wenn es jetzt nicht unser Lieblingsanliegen war. Aber das heißt: Wir haben insgesamt in der Ampel dort

zusammengearbeitet.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Der Bundesminister hat hier schon eine ganze Reihe Punkte aufgezählt, die wir umgesetzt haben. Er hätte auch noch zusätzlich das 9‑Euro-Ticket

erwähnen können und dass wir das Wohngeld ausweiten und erhöhen. Er hätte die nahende Strompreisbremse und die Abschaffung der EEG-Umlage noch zusätzlich

erwähnen können. Also, es gibt noch eine ganze Menge anderer Sachen, wo diese Ampel zusammengenommen alles Mögliche für das gesamte Spektrum der Einkommen von

ALG-II-Beziehenden bis zu den Werktätigen in der Mittelschicht getan hat. Das sollte man in den Mittelpunkt dieser Debatte und der Betrachtung stellen; denn die

Energiepreispauschale für Rentnerinnen und Rentner reiht sich in diesen Maßnahmenkatalog ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und wenn es Ihnen gut gefällt, Herr Straubinger, dass der Druck der Union der Grund war, warum wir das jetzt machen, und wenn Ihr größter Kritikpunkt

ist, dass es zugegebenermaßen verspätet gekommen ist, dann sei Ihnen dieser Punkt von mir aus ruhig gegönnt.

(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Einverstanden! – Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Dann müssen Sie einfach mal eher auf uns hören!)

Ich erinnere nur daran, dass ich, als ich vor einigen Monaten von dieser Stelle aus zu einem Antrag der Union gesprochen habe, wo Sie uns das auch

schon vorgeworfen hatten, meine Rede mit den Worten schloss, dass wir uns beim nächsten Entlastungspaket um die Rentnerinnen und Rentner kümmern werden, und

genauso ist es jetzt auch gekommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Na, Zeit wird’s!)

Ich möchte lieber noch die Zeit nutzen, etwas anderes in die Betrachtung miteinzuführen. Wir sehen ja, dass jenseits des Bundeswehrsondervermögens,

jenseits der Übernahme von Uniper und anderen Gasunternehmen alleine die Entlastungspakete und das, was wir noch in diesen Wirtschaftssicherungsfonds packen,

unter anderem die Gaspreisbremse, in Summe auf 300 Milliarden Euro zulaufen. Das ist eine astronomische Summe – das muss ich auch gerade als Mitglied des

Haushaltsausschusses sagen –, und trotzdem gibt es Sorgen allenthalben, trotzdem erreichen uns verschiedene Hilferufe.

Was zeigt uns das? Sollen wir noch mehr Einmalzahlungen, Rettungsschirme, Zuschläge und Preisnachlasse machen? Da, wo es sinnvoll und notwendig ist,

würde ich sagen: „Ja, schon“, zum Beispiel, wenn es darum geht, eine vernünftige Nachfolge des 9‑Euro-Tickets zu finden, wenn es darum geht, Rehakliniken oder

stationäre Einrichtungen in der Kinder- und Jugendhilfe zu unterstützen, und einige andere Beispiele könnte ich auch noch nennen. Aber ansonsten bin ich sehr

dafür, dass wir mit dem Prinzip „Gießkanne“ für die Zukunft Schluss machen

(Zustimmung des Abg. Dr. Stefan Nacke [CDU/CSU] – Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Gute Einsicht!)

und dass wir zielgerichtet da intervenieren, wo es notwendig ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben ja bei Krisenreaktionen immer einen klassischen Zielkonflikt, nämlich den zwischen Schnelligkeit und Zielgenauigkeit. Und da es jetzt

schnell gehen musste,

(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Zum 1. Dezember!)

weil diese Krise sich so aufgetürmt hat, ist es auch okay, dass man sozusagen eine Breitbandantwort gegeben oder, martialisch, eine Bazooka genommen

hat.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Aber der Kanzler wusste das alles! Der hat das alles schon durchdacht!)

Wenn wir jetzt den nächsten Schritt der Krisenbewältigung gehen, dann muss man die Maßnahmen auf jeden Fall zielgenauer machen; denn die Erfahrung

lehrt, dass man mit Pauschalinstrumenten Glücksritter und Krisengewinnler anzieht. Ich erinnere nur an die Maskendealer von der Union, die das während der

Coronakrise schamlos ausgenutzt haben.

(Unruhe bei der CDU/CSU – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Oh mein Gott! – Marc Biadacz [CDU/CSU]: Das war einfach!)

– Ja, ist doch wahr. Leugnen Sie es nicht!

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wo er recht hat, hat er recht!)

Es gibt Streuverluste – das ist auch bei der Energiepreispauschale der Fall –, weil das Geld tatsächlich auch Menschen bekommen, die es nicht

brauchen, wie ich zum Beispiel oder der Herr Straubinger, und es gibt Mitnahmeeffekte. Diejenigen, die sich über den Tankrabatt am meisten gefreut haben,

dürften ja die Mineralölkonzerne gewesen sein. Das heißt also: Mehr Zielgenauigkeit ist in Zukunft absolut entscheidend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU])

Die Höhe dieser Summe, 300 Milliarden Euro, die scheinbar einigen immer noch nicht reicht, zeigt aber auch das Ausmaß der Abhängigkeit, in die wir uns

beim Thema „billiges Gas“ begeben haben, in diese wahnsinnige Sucht. Und sie legt noch mal ganz deutlich die Notwendigkeit offen, dass wir die Transformation zu

einer klimaneutralen Wirtschaft beschleunigen müssen – dreifach, vierfach –, um uns aus diesen fatalen Abhängigkeiten, in die uns frühere Bundesregierungen

geführt haben, endlich zu befreien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen wirklich auch nicht vergessen, dass alle jetzigen Krisenausgaben auch Ausgaben zur Stärkung der Demokratie sind. Das möchte ich noch mal

ausdrücklich betonen, weil ja zu befürchten steht, dass die Person von der Fraktion hier ganz rechtsaußen, die nach mir reden wird, behaupten wird, dass die

Energiekrise Resultat von deutschen quasi Wirtschaftskriegserklärungen ist, dass wir nur den USA folgen und ihre Befehle ausführen.

An dieser Stelle muss einfach – wie bei allen Maßnahmen, die wir hier zur Krisenbewältigung in Gang setzen – klar sein, dass wir dies tun, weil ein

Diktator Europa bedroht und die Ukraine gewaltsam überfallen hat

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und damit gegenüber uns im gesamten Westen tatsächlich eine Art von Bedrohung, Androhung – ich will nicht sagen: Kriegserklärung – ausgesprochen hat.

Das darf man bei allem, was vielleicht manchmal auch ein bisschen fehlerhaft oder verspätet läuft, nicht vergessen.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Anja Schulz [FDP])

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Kurth. – Nächster Redner ist der Kollege René Springer, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)