Foto von Ingrid Nestle MdB
10.11.2023

Dr. Ingrid Nestle (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern Abend, am Ende einer energiepolitischen Podiumsdiskussion, sagte mir einer der Podiumsgäste, für ihn sei jetzt wirklich wichtig, dass wir Entscheidungen treffen, dass wir in der Energiepolitik keinen Stillstand mehr haben, wie wir ihn in der letzten und vorletzten Legislatur doch erlebt haben. Weil die Herausforderungen groß seien, sei ihm wichtig, dass wir Entscheidungen treffen, dass wir handeln.

Ich teile diese Einschätzung; denn wir haben längst erkannt, dass die Energieversorgung nicht einfach so bleiben kann, wie sie ist, indem wir nichts tun. Wir haben gesehen, wie die Klimakrise, wie Atomreaktorunfälle, wie die Explosion der Preise für fossile Energieträger dazu führen, dass das alte Energieversorgungssystem aus den Fugen gerät. Wir haben gesehen, wie Putin unsere Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern sogar als kriegsvorbereitendes Mittel genutzt hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

– Ja, das hat er; denn dadurch, dass ihm leider erlaubt worden ist, dass Russland den größten deutschen Gasspeicher besitzen durfte, hat er schon vor Kriegsbeginn, indem er zum Winter den Gasspeicher leergefahren hat, die Gaspreise bei uns vervielfacht. Die Experten saßen da und haben gerätselt: Warum? Was passiert da? Was machen die Marktakteure? Warum explodieren die Preise? Dann ist Putin martialisch und brachial in die Ukraine einmarschiert – und seitdem wissen wir, warum. Er hatte gehofft, dass wir wegen der hohen Gaspreise die Ukraine nicht unterstützen. Ich bin bis heute stolz darauf, dass ihm das nicht gelungen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Konrad Stockmeier [FDP])

Das alles zeigt, wie recht dieser Mann hat, der mich gestern angesprochen hatte. Wir müssen handeln. Die alte Welt gibt es nicht mehr. Wir müssen eine neue schaffen. Dies ist ein sehr guter Morgen, ein weiterer sehr guter Morgen für die Energieversorgung Deutschlands; denn wir haben ein weiteres großes Gesetzespaket auf dem Tisch. Damit handeln wir, damit treffen wir wichtige Entscheidungen für Versorgungssicherheit, für Bezahlbarkeit, für Umweltverträglichkeit bei der Energieversorgung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir haben eine Novelle des Energiewirtschaftsrechts auf dem Tisch liegen. Zum Beispiel sind dort die Grundlagen für das Wasserstoffkernnetz enthalten. Ja, wir Berichterstatter haben darauf geachtet, dass es schnell weitergehen kann – ja, es muss schnell gehen bei diesem Thema –, indem Vorarbeiten, die schon parallel stattgefunden haben, verwendet werden können. So können wir bei diesem Thema schnell vorankommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dieses Gesetzespaket enthält Regelungen, die den Ausbau von Speichern erleichtern. Wir werden Netzentgeltbefreiungen verlängern und damit auch in diesem Bereich einen weiteren wichtigen Schritt gehen.

Wir haben in diesem Gesetzespaket eine Regelung, die es ermöglicht, dass Strom aus Windrädern oder Solarparks auch bei Netzengpässen produziert werden kann – das ist im Moment nicht der Fall – und vor Ort lokal genutzt werden kann. Damit werden Verbraucher und die Umwelt entlastet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

An dieser Stelle ist uns also eine gewisse Überraschung gelungen. Das haben wir als Berichterstatter noch ins Gesetz hineingearbeitet. Da es über die Überraschung auch einige erstaunte und unterschiedliche Kommentare gab, möchte ich gern noch einmal darauf eingehen, was wir in der Anhörung am letzten Montag zu diesem Thema „Nutzen statt abschalten“ gehört haben: Ja, sicherlich sei es ein bisschen komplex, so eine Regelung zu machen, also zu nutzen statt abzuschalten, aber bei dem bestehenden Strommarktdesign, das, glaube ich, auch eine breite Unterstützung hier genießt, sei das die einfachste und beste Möglichkeit, die denkbar sei, so die Experten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Alice Weidel [AfD]: Toll!)

– Ja, schon. Aber Ihr Hohn, der ist nicht toll und bringt dieses Land nicht voran.

(Dr. Rainer Kraft [AfD]: Warten wir mal ab, Frau Nestle! Wir werden Ihren ganzen Mist abräumen!)

Das ist das, was Sie markiert: Hohn, Hohn, wo wirkliche Arbeit ansteht, um dieses Land voranzubringen, wo es darum geht, für die Menschen zu arbeiten. Ich finde es wirklich schäbig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])

Wir haben in diesem Gesetzespaket noch vieles Weitere drin, zum Beispiel den Zuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten.

Ich will aber noch zum Hauptthema dieser Novelle kommen, nämlich dass wir beim Thema Netzentgelte wieder handlungsfähig werden. Da geben wir nicht den Hut ab. Sie können in dieser Debatte gleich schauen – es gab ja sehr, sehr viele Missverständnisse –, ob nicht auch dieses Missverständnis hier wieder auftaucht. Nein, nicht wir geben unsere Kompetenzen beim Thema Netzentgelte ab.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Doch! – Carolin Bachmann [AfD]: Ihr habt ja gar keine! Ihr könnt keine abgeben!)

Der Europäische Gerichtshof hat längst entschieden, dass die Zuständigkeit für dieses Thema nicht beim deutschen Parlament liegt, sondern auf europäischer Ebene. Wir können im Moment die Netzentgelte, die Netzentgeltregulierung nicht mehr beeinflussen. Im Moment gibt es ein Vakuum. Niemand in Deutschland kann das. Deswegen ist es ein großer Fortschritt, dass wir den Hut an die einzige Stelle geben, wo er rechtlich sitzen kann, nämlich an die Bundesnetzagentur. So werden wir bei den Netzentgelten wieder handlungsfähig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Karsten Hilse [AfD]: Null Fortschritt ist das! – Dr. Alice Weidel [AfD]: Toll!)

Jeder, der gleich ankommt und sagt, wir würden diese Kompetenzen abgeben, der hat die Rechtslage nicht verstanden; denn die Kompetenz – Stichwort „Rechtsstaatlichkeit“ – liegt schon heute nicht mehr beim deutschen Parlament. Deswegen ist es so wichtig, dass wir die Handlungsfähigkeit wiederherstellen.

Und falls gleich dieses eigenartige Argument kommen sollte: Nein, es ist keine Schwächung der Gewaltenteilung. Die politische Entscheidungskompetenz liegt an dieser Stelle in Europa; die Judikative, also die gerichtlichen Entscheidungen, bleibt unangetastet. Und ja, es gibt auch den Regulator. Es gibt in diesem Bereich weiterhin die Gewaltenteilung wie bisher. Alles andere ist entweder nicht verstanden oder falsch behauptet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vielleicht noch kurz zu einem Punkt, der auch auf dem Tisch lag. Gestrichen wurde nicht der Status des überragenden öffentlichen Interesses für Wärmeinfrastruktur. Wir haben diesen Punkt lediglich verschoben, weil wir ja in vielen Dingen, in vielen Bereichen Entscheidungen treffen. Das wird also im Zusammenhang mit der kommunalen Wärmeplanung diskutiert werden und nicht hier, aber es wurde nicht gestrichen.

So, das sind viele Punkte. Ich freue mich sehr. Ich danke meinen Kollegen von der Ampel sehr. Wir hatten lange Beratungen, wir hatten zwei Anhörungen, wir haben viele, viele Themen bearbeitet. Ich glaube, wir haben bewiesen, dass wir uns einbringen für dieses Land, dass wir entscheiden können für dieses Land. Ich wünsche mir sehr, ich bitte Sie sehr, dass Sie dieser Gesetzesnovelle zustimmen. Dies ist ein wichtiger Fortschritt.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Alice Weidel [AfD]: Toll!)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Mark Helfrich.

(Beifall bei der CDU/CSU)