Rede von Canan Bayram Entschädigung für Strafmaßnahmen

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10.09.2020

Canan Bayram (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“, sagt unser Grundgesetz. Wenn Menschen zu Unrecht die Freiheit entzogen wird, ist das ein rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Super-GAU. Der durch den Freiheitsentzug erlittene Rechtsverlust ist nicht mehr zu ersetzen. Er bleibt absolut. Man kann die Justizopfer nur entschädigen. Teil dieser Entschädigung ist die seit 2009 unveränderte Pauschale für den Ersatz immateriellen Schadens bei unrechtmäßiger Freiheitsentziehung. Dank der Initiative der Bundesländer Hamburg und Thüringen soll diese Pauschale nun von 25 auf 75 Euro pro Tag unrechtmäßiger Haft erhöht werden. Das ist unangemessen wenig, meine Damen und Herren, und wird dem Anspruch, den ein humaner Rechtsstaat an sich selbst stellen muss, nicht gerecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man denke nur an den zivilrechtlichen Entschädigungsanspruch bei einem vertanen Urlaubstag. Wie unverhältnismäßig ist das denn, bitte schön?

Die Bundesregierung und die Koalition haben trotz der Verhandlungsmacht des Bundes gegenüber den Ländern seit mehr als einem Jahrzehnt nichts für eine angemessene Erhöhung der Entschädigungsansprüche getan. Zu Unrecht inhaftierte Menschen haben wohl keine Lobby und finden erst recht keine Unterstützung bei der Bundesregierung oder dieser Koalition. Dabei brauchte es weitere Verbesserungen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört die Rentenversicherungsnachversicherung von Amts wegen für infolge der Haft nicht geleistete Beiträge mit Beitragshöhe entsprechend fiktivem Arbeitsentgelt in Freiheit.

(Stephan Brandner [AfD]: Unser Vorschlag! Das kam nicht von Ihnen! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So etwas haben wir schon vorgeschlagen, da gab es Sie noch gar nicht!)

Dazu gehören Beweiserleichterungen bei der Geltendmachung von Vermögensschäden. Dazu gehört, dass endlich der skandalös-zynische sogenannte Vorteilsausgleich für Kost und Logis

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht für das Essen!)

für die unrechtmäßige Haftzeit abgeschafft wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Meine Rede!)

Schließlich braucht es Hilfe bei der Reintegration zu Unrecht inhaftierter Menschen. Die Ankündigung aus der Koalition bei der Beratung dieses Gesetzentwurfs, zukünftig endlich tätig zu werden, darf nicht unverbindliche Ankündigung bleiben. Da nehme ich Sie beim Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Einfach unserem Antrag zustimmen!)

Zwei Dinge aber können wir sofort beschließen: erstens die Pauschale von 75 Euro auf 150 Euro pro Hafttag zu erhöhen und zweitens das Gesetz rückwirkend zum 1. Januar 2020 in Kraft zu setzen. Beratungsverzögerungen aufgrund von Inaktivität der Koalition und wegen der Covid-19-Pandemie verschobener öffentlicher Anhörungen dürfen nicht zulasten der Betroffenen gehen, meine Damen und Herren. Deshalb bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Stephan Brandner [AfD]: In unserer Vorlage steht ja alles drin!)

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Bayram. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)