Rede von Dr. Bettina Hoffmann Ermittlung von Schadstoffkonzentrationen

19.10.2018

Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines ist ja klar: Grenzwerte fallen nicht vom Himmel. Sie werden durch gemeinsame Festlegungen getroffen. Sie müssen ambitioniert sein; sonst braucht man sie gar nicht. Man kann sie immer wieder hinterfragen; das ist durchaus berechtigt.

(Martin Hebner [AfD]: Ja, dann tun Sie es doch!)

Was aber absolut nicht geht, ist, den Schutz der Gesundheit der Menschen, die hier bei uns leben, infrage zu stellen und sich darum nicht mehr zu kümmern. Genau das tun Sie nämlich, liebe FDP und AfD.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Judith Skudelny [FDP]: Keiner geht darauf ein, dass Fahrverbote zu mehr Emissionen führen!)

Beim Stickoxid ist der aktuelle Wert von 40 Mikrogramm nicht einmal ehrgeizig. Das will ich Ihnen erklären: Die Schweiz hat einen Grenzwert von 30 Mikrogramm, Österreich ebenfalls. Bereits 2003 hat der VDI empfohlen, 20 Mikrogramm anzusetzen.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: In der Schweiz gibt es einen Arbeitsplatzgrenzwert von 6 000 Mikrogramm!)

Die WHO geht schon seit 2015 davon aus, dass bei Langzeitexposition bei einem Wert von 20 Mikrogramm mit Gesundheitsschädigungen zu rechnen ist.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Nein! Das ist wissenschaftlich überhaupt nicht erwiesen!)

Die Experten empfehlen auch, den Grenzwert beim nächsten Mal zu verschärfen und nicht einfach hochzusetzen, wie Sie es jetzt vorschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Judith Skudelny [FDP]: Nein, das haben wir nicht vorgeschlagen!)

– In Ihrem Antrag lese ich davon nichts. Aber, Frau Skudelny, Sie ignorieren die internationale Studienlage und tun so, als seien die aktuellen Erkenntnisse nichts wert.

(Judith Skudelny [FDP]: Nein! Aber zwischen toxikologischen Studien und epidemiologischen Studien gibt es einen kleinen Unterschied!)

Die AfD diskreditiert an jeder Stelle die Wissenschaft. Das finde ich einfach nur schäbig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Hoffmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Bettina Hoffmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein.

(Beifall der Abg. Ute Vogt [SPD] – Zurufe von der FDP: Oh! – Schade!)

Dies gilt auch für die Studie des UBA,

(Judith Skudelny [FDP]: Eine Metastudie! – Dr. Lukas Köhler [FDP]: Das ist ein Unterschied!)

die hier immer wieder, auch in Nebengeräuschen, diskreditiert wird. Es schätzt nach einer absolut anerkannten Methode, dass durch die Langzeitbelastung durch Stickoxid 6 000 Menschen im Jahr vorzeitig sterben.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Die ist überhaupt nicht „absolut anerkannt“! Das ist absoluter Quatsch, was Sie erzählen!)

Wenn wir über Opfer im Verkehr reden, würde ich diese Menschen freundlich mit dazuzählen. Diese Zahl ist bei Betonung aller Unsicherheiten und aller konservativen Annahmen einfach nur erschreckend.

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Der Kollege Krischer redet von 12 000 Toten! Was denn nun?)

Liebe Kollegen von der FDP, es gibt keine Einteilung in gute oder schlechte Wissenschaft, nur weil einem vielleicht die Ergebnisse nicht gefallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen auch unbequeme Ergebnisse zur Kenntnis nehmen. Es tut mir wirklich leid, dass ich das so klar sagen muss, aber mit dieser Faktenignoranz sind Sie nahe dran an der Szene der Klimawandelleugner und in Ihrer Haltung kaum noch von der Argumentation der AfD zu unterscheiden. Da sollten Sie vorsichtig sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was mich an Ihrem Antrag richtig aufregt, ist diese unsolidarische Haltung. Ihre Antwort an Menschen, die an sechsspurigen Straßen voller Abgase wohnen, lautet im Grunde sinngemäß: Dann sucht euch doch einfach eine andere Wohnung!

(Judith Skudelny [FDP]: Ach so! In Wohngebieten wohnen weniger? Das ist doch Blödsinn!)

Damit verkennen Sie aber, dass viele Menschen dem nicht ausweichen und nicht einfach eine andere Wohnung nehmen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Judith Skudelny [FDP]: Und wir fahren jetzt durch Wohngebiete durch! Nicht durch die großen, durch die kleinen Straßen!)

Genauso wenig können Kinder etwas dagegen tun, dass ihre Köpfe auf Auspuffhöhe nah an den Abgasen sind. Oder Asthmatiker und Schwangere: Sie können schlecht aufhören, lungenkrank bzw. schwanger zu sein. Für genau diese Menschen, die empfindlich sind, machen wir diese Grenzwerte, und dann müssen sie auch eingehalten werden. Das nennt man nämlich Vorsorgeprinzip. Das ist eine Leitlinie der deutschen Umweltpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Warum stimmen eigentlich Ihre Zahlen nicht mit denen des Kollegen Krischer überein?)

Sie verabschieden sich von diesen Vereinbarungen.

Zu den Fahrverboten will ich nur noch eines sagen – dazu ist eigentlich schon genug gesagt worden –: Schuld an diesen Fahrverboten sind nicht die Grenzwerte und die Kläger, sondern die Autokonzerne, die betrogen haben, und die Bundesregierung, die bis heute nicht gehandelt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Ulli Nissen [SPD])

In Ihrem Antrag finde ich keine Forderung nach Hardwarenachrüstung auf Kosten der Hersteller. Damit könnte man aber ziemlich schnell etwas erreichen.

(Judith Skudelny [FDP]: Das ist ziemlich schwer!)

Sie machen jetzt einen ganz komischen Vorschlag – in meinen Augen ist das absurd –: Sie wollen die Messstellen versetzen und die Möglichkeiten – ich zitiere – „ausreizen“. Das finde ich, gelinde gesagt, etwas plump.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es erübrigt sich jede Diskussion über Grenzwerte, wenn deren Einhaltung noch nicht einmal seriös gemessen werden soll. Damit entlarven Sie sich selber. Es geht Ihnen ausschließlich darum, die Autokonzerne zu schonen. Die Gesundheit der Menschen ist Ihnen egal. Das sehen wir komplett anders. Deswegen werden wir Ihre Anträge beide ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])