Rede von Renate Künast Ernährung und Landwirtschaft

23.03.2018

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich habe alle Zeit der Welt.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Sie wissen ja: In der Ruhe liegt die Kraft.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Stimmt. – Ich lege meine Gehhilfe auf den Fußboden. Wenn ich damit auf den Tisch hauen würde, würde sie sowieso nach unten fallen.

(Heiterkeit)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Amt! In einem haben Sie auf alle Fälle recht: Das ist das schönste Ministerium.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch wenn Sie das Wort „Lebensministerium“ bei den Österreichern, die es schon jahrelang verwenden, gestohlen haben: Ich glaube, dass es da tatsächlich auch um unser aller Lebensgrundlagen geht, um das, was wir essen, was wir trinken, um den Erhalt der Lebensgrundlagen, um die Grundlagen der Schöpfung und eben auch um den Erhalt der Grundlagen, die man für gutes bäuerliches Wirtschaften braucht, um auf dieser Basis Jobs zu haben.

Nachdem ich Sie zu Beginn beglückwünscht habe und Gemeinsamkeiten mit Ihnen festgestellt habe, komme ich jetzt zu einem anderen Teil.

(Rainer Spiering [SPD]: Der dauert länger!)

– Der dauert länger. – Sie haben alle Schlüsselworte benannt, sie mit Absichtserklärungen versehen und sie strahlend vorgetragen. Aber ich finde, am Ende war es für alle nichts Konkretes, ehrlich gesagt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stichwort „Tierhaltung“: Die Kunden sagen, sie hätten das Recht, zu wissen, was in den Nahrungsmitteln enthalten ist, wie sie produziert wurden, wie die Tiere gehalten wurden. Sie haben ein Tierwohllabel angekündigt, aber sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, wie Sie eigentlich damit umgehen, dass es das jetzt eigentlich fast schon gibt. Nachdem Lidl angekündigt hat, ein solches Label zu verwenden, zieht der restliche Lebensmittelhandel jetzt nach. Man trifft sich aktuell und wird in wenigen Wochen und Monaten auf der Basis dessen, was am Markt ist, Label und Kennzeichnungen anbieten. Sie können sich dem allenfalls in ein oder zwei Jahren anschließen und sagen: Das war eigentlich ich. – Ich glaube aber, es war im Wesentlichen die Bewegung draußen, die das gemacht hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg Cezanne [DIE LINKE])

Ich bin der festen Überzeugung, dass das, was da aufgelegt wird, von der Struktur her gar nicht reichen wird; vielmehr werden das die gesellschaftliche Bewegung und einige, die hier im Parlament aktiv sind, weitertreiben. Denn natürlich werden wir sagen: 10 Prozent mehr Platz und ein Spielzeug mehr in der Schweinebucht reichen eben nicht aus. – Es reicht übrigens auch nicht aus, wenn Sie, Frau Klöckner, sagen: Wir werden in Zukunft tolle digitalisierte Ställe haben. – Die werden wir vielleicht auch haben. Aber wenn wir wirklich an Tierhaltung und Tierschutz herangehen und die Interessen der Kundinnen und Kunden berücksichtigen, ist die Zielstellung nicht der digitalisierte Stall, sondern die Zielstellung lautet: Die Sau muss raus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie wissen: Andere Länder haben damit längst angefangen, etwa Holland mit dem „Schwein der Zukunft“. Was wir also brauchen, ist eher der Antrieb, eine gute, klare und einfach verständliche Kennzeichnung von Wurst, von Fleisch allgemein bis hin zum verarbeiteten Ei zu schaffen.

Ich kann hier nur sagen: Da brauchen wir noch mehr. Sie haben gesagt, Sie wollten Lücken schließen. Aber dann gehen Sie einmal an die quälenden, langen Tiertransporte heran. Gehen Sie an die Probleme heran, dass viele Tiere anhaltenden Schmerz gerade am Ende ihres Lebens, vor der Schlachtung, empfinden, dass Nottötungen nicht tierschutzgerecht sind und dass wir die Anzahl der Tierversuche reduzieren und dabei nicht stehen bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dazu haben Sie eigentlich nichts gesagt – nichts Konkretes.

Ich bin aber der festen Überzeugung: Planungssicherheit für Landwirte und wirtschaftliche Chancen gibt es nur, wenn wir klare Kennzeichnungen haben und dadurch wieder gesellschaftliche Akzeptanz herstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Ich nehme als konkretes Beispiel die Pestizide, ein Thema, das uns alle beschäftigt. Sie kommen im Zweifelsfall mit Precision Farming. Aber ich frage – auch in Richtung SPD –, wenn ich die allgemeine Formulierung höre, dass man für die Minderung von Glyphosat und Pestiziden und für deren umweltverträglichen Einsatz ist: Wie soll das gehen? Der Einsatz von Pestiziden ist immer ein Eingriff in die Umwelt, ein unnatürlicher Eingriff.

Wir haben viel gelesen über den Verlust von 75 Prozent der Bienen und bestäubenden Insekten, über den Verlust der Vögel, gerade in Frankreich. Wenn man wirklich eine Biodiversitätsstrategie verfolgen will, wenn man Insektenschutz betreiben will, dann darf man eines nicht tun: nur warme Worte sprechen und diese warmen Worte am Ende mit Fördertatbeständen doch wieder konterkarieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Reduzieren wir jetzt massiv, und machen wir konkrete Vorgaben! Stichwort „Neonicotinoide“, Frau Schmidt – –

(Heiterkeit)

– Frau Klöckner, sorry. Mit Herrn Schmidt vergleiche ich Sie nicht. Ich habe mich versprochen. – Ihr Vorgänger, Herr Schmidt, der jetzt auch noch die Deutsche Bahn ins Unglück reißen soll, sagte im November 2017 im EU-Rat: Wenn die EFSA den Beweis erbringt, dass es schädlich ist, dann wird Deutschland dem Verbot zustimmen. – Nachdem die EFSA gesagt hat: „Es ist so“, sagen Sie in Brüssel faktisch gerade: Wir wissen es noch nicht genau. Wir müssen noch einmal reden, noch einmal nachdenken. – Ich habe den Verdacht: Sie arbeiten nur daran, möglichst viele Ausnahmen zu machen.

Fassen Sie sich doch ein Herz! Sie brauchen auf keine wissenschaftliche Diskussion zu warten, weil es keine wissenschaftliche Diskussion mehr gibt. Alle sind einer Meinung. Sagen Sie Ja zum Verbot der Neonicotinoide, wie es vorgeschlagen ist!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Selbst die DLG, ein Fachverband, sagt: Die Zukunft heißt „gute fachliche Praxis“. „Gute fachliche Praxis“ heißt „Fruchtfolge“, meine Damen und Herren. Man kann nur eines machen. Ich sage Ihnen: Schützen Sie die Grundlagen des Lebens, schützen Sie die Grundlagen guter bäuerlicher Betriebe statt die Profite der Agrarchemie!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich freue mich mit Ihnen auf die Debatte, die wir zur EU-Agrarreform haben werden, und sage Ihnen schon eines: Sie werden sagen müssen, wie Sie von den alten Strukturen, die die Probleme von heute geschaffen haben, wegkommen und neue Strukturen schaffen wollen. Sie können hier nicht nur ein bisschen rumbutschern. Wie wird das Geld in Zukunft zielgerichtet ausgegeben, sodass es nicht bei den Unternehmen ankommt, sondern die Leistungen von Bauernfamilien finanziert? Das werden Sie nicht mit Ihrer Exportstrategie und immer mehr Handelsabkommen – mit dem Mercosur, mit Australien, Neuseeland – schaffen, bei denen es darum geht, Autos und Dienstleistungen gegen Rindfleisch zu tauschen. Das hilft doch unseren Landwirten nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über allem steht – mein letzter Gedanke hier –: Geben Sie endlich zu, dass die Kunden, die Verbraucher ein Recht darauf haben, zu wissen, was drin ist – bei alter und bei neuer Gentechnik und auch bei der Ernährung! Wir wollen eine ordentliche Kennzeichnung. Was gute Ernährung angeht, auch was Chemierückstände in der Ernährung anbetrifft, wollen wir sagen: Wir schützen in Zukunft unsere Kinder und nicht die finanziellen Interessen der Agrarchemie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir wollen ein wirklich ehrgeiziges Programm. An die Vorrednerin von der SPD gerichtet, sage ich: Wir brauchen in Wahrheit keine Gemüsekampagne; seit 10, 15 Jahren reden wir über „fünfmal am Tag Gemüse“ usw. Wir müssen Fakten schaffen, zum Beispiel indem die Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu Mindestkriterien in Kindergärten, Schulen, Studentenwerken und überall werden. Wir müssen im Ernährungsbereich endlich dafür sorgen, dass mehr bio, mehr regional, mehr saisonal gegessen wird und dass es sowohl gesundes als auch fair hergestelltes Essen gibt.

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Frau Kollegin!

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Zeitgleich mit unserer Produktion müssen wir die Biodiversität schützen und den Bauern Absatzmöglichkeiten geben. Die Landwirtschaft ist nicht irgendwo. Ihre Zukunft liegt darin, dass sie ihren Beitrag leistet und wir die Finanzströme danach ausrichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)