Rede von Renate Künast Ernährung und Landwirtschaft

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27.01.2022

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja so, dass viele Jahre lang im Bereich Landwirtschaft und Ernährung die Lösung von Problemen auf die lange Bank geschoben wurde. Aber wir packen das jetzt an. Es macht keinen Sinn, der Landwirtschaft vorzugaukeln – und die wissen es selbst längst besser –, dass alles so bleibt, wie es ist, oder nur kosmetische Operationen vorzunehmen. Nein, 16 Jahren Stillstand im Agrar- und Ernährungsbereich muss jetzt ein tatsächlicher Aufbruch entgegengesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Unser Ziel ist nämlich eine Landwirtschaft, die Klima und Arten schützt, damit ihre eigenen Betriebsgrundlagen schützt, die die Tiere artgerecht hält und insgesamt verlässliche Bedingungen bekommt.

Unsere Ernährungspolitik will, dass Kinder und die Gesundheit der Menschen sowie die Produktionsbedingungen, zum Beispiel die Löhne der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in den Mittelpunkt gestellt werden und dass dabei Klima- und Tierschutz beachtet werden, meine Damen und Herren. Das gehört zusammen.

Was wir nicht weiter tun können und wollen, ist, dass wir sagen: Die Landwirtschaft soll das mal alleine regeln. – Aber man kann nicht in einem falschen System, in einer falschen Struktur umsteuern. Man kann auch nicht sagen: „Wir machen nur Bildung für die Verbraucherinnen und Verbraucher, damit die sich anders ernähren“, weil auch diese Heldinnen und Helden des Alltags in einem falschen System nicht die richtige Ernährung und die richtige Nachfrage organisieren können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

Wenn wir Wertschätzung, Wertschöpfung, Klimaschutz, Artenschutz und Tierschutz wollen, dann müssen wir einen neuen Rahmen schaffen. Das erfordert Veränderung; aber nur in dieser Veränderung liegt Zukunft.

Ich will noch einmal klar sagen, was definitiv in dieser Regierung und dieser Koalition nicht mehr passieren wird. Wir werden die Dinge nicht verschlampen und auf die lange Bank schieben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!)

Die Bundesregierung ist jetzt unter Druck und muss das EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der Düngeverordnung abwenden. Beim Umbau der Tierhaltung oder dem Umbau der Landwirtschaft insgesamt haben Sie nach Jahren Kommissionen eingerichtet, die erst zum Ende der Wahlperiode zu einem Ergebnis gekommen sind. Auch zur GAP-Reform war das Papier im August fertig, aber Frau Klöckner traute sich nicht, es vor dem Wahltag vorzulegen, weil sie Sorgen hatte. Nein, wir machen die Dinge jetzt pünktlich. Wir wollen tatsächlich alle Kriterien für Verlässlichkeit und Zukunftssicherheit der Landwirtschaft umsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sie wissen doch alle: Die Ernährungs- und Agrarwende sind gut fürs Klima und gut für die Betriebe, weil unsere Art der Ernährung, wenn Sie die ganze Kette ansehen, ein Fünftel unserer Klimabilanz ausmacht. Tierische Lebensmittel haben einen besonders hohen CO2-Fußabdruck, meine Damen und Herren.

Ich will Ihnen ein Beispiel zum Thema „Food Waste“, Lebensmittelverschwendung, nennen. Wir werden auch über unseren Lebensstil und unsere Erwartungen, ob den ganzen Tag über alles im Laden verfügbar sein muss, reden müssen. 18 Millionen Tonnen an Lebensmitteln werden jedes Jahr in den Abfall geworfen. Das entspricht umgerechnet 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Das wollen wir beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich will hinzufügen: Was wir auch beenden wollen und müssen, sind solche komischen Dinge wie, dass, wenn jemand wie Pater Alt in München Lebensmittel vor der Vernichtung rettet, das ein Diebstahl sein soll und die Polizei hingehen, ihm die Lebensmittel wegnehmen und sie dann vernichten muss. Das ist unzumutbar:

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

für den Lebensmittelretter, für die Polizei und auch für die Landwirte, die die Lebensmittel produziert haben.

Lassen Sie uns jetzt systematisch anfangen! Was werden wir tun? Wir wollen bei diesem Aufbruch in diesem Jahr erstens eine Tierhaltungskennzeichnung auf den Weg bringen, in einem Paket mit Baugesetzbuch, TA Luft und Finanzierung. Wir werden die Ernährung dazupacken, indem wir klar sagen: Die Gemeinschaftsverpflegung zum Beispiel muss sich auch verändern. Wir könnten im Bundestag gleich anfangen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Besseres Kantinenessen wollen alle haben. Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Altersheime: Überall da muss das Essen besser werden, und es soll saisonaler, regionaler werden; das ist sozusagen die Nachfrageseite zu den Veränderungen im Bereich Landwirtschaft.

Und dann kommen natürlich noch eine Novelle des Tierschutzgesetzes und der Brandschutzverordnung, weil 5 000 Brände im Jahr in Ställen in Deutschland nicht zu akzeptieren sind für das Mitgeschöpf Tier.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir werden auch den Einsatz von Pestiziden reduzieren, dafür Programme auflegen, den Ökolandbau bis 2030 auf 30 Prozent setzen. Das ist ehrgeizig; aber man muss sich ja manchmal ehrgeizige Ziele setzen, damit man sich auch dahin strecken kann, meine Damen und Herren.

Nicht zuletzt geht es in dem ganzen Kontext um eine soziale und Gesundheitsfrage. Wir haben ja in den letzten Wochen viel über die soziale Frage bei den Lebensmittelpreisen geredet, über die Frage: Wer kann sich das leisten? Dabei ist aber nicht diskutiert worden: Wer kann sich eigentlich die Klimakrise leisten? Welche Auswirkungen hat die Klimakrise auf die Gesundheit genau der Menschen, über die wir gerade bei den Lebensmittelpreisen reden? Und wir haben auch nicht gefragt – jedenfalls nicht laut und öffentlich –, was unser Ernährungssystem eigentlich für die Gesundheit der Menschen bedeutet. Gerade die weniger Gebildeten, meine Damen und Herren, die, die weniger Geld haben, sind doch die, die am häufigsten ernährungsbedingte Erkrankungen haben. Das ist eben auch eine soziale Frage, wo wir nicht tatenlos zusehen dürfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Preise müssen die Wahrheit sprechen. Wir brauchen weniger hochverarbeitete Lebensmittel, wir wollen den Lebensmittelabfall reduzieren, und wir wollen auch die Zusammensetzung der Produkte verändern, meine Damen und Herren; denn da muss es um die Gesundheit der Menschen gehen und nicht nur um die Profite der Lebensmittelindustrie, die hochverarbeitete sogenannte Lebensmittel produziert.

Im Fazit kann ich eines sagen: Nie war die Bereitschaft im Bereich Umweltbewegung, Landwirtschaft und bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern so groß wie jetzt, mitzutun an einer Veränderung dieses Systems. Wir wollen ein Gesamtpaket auflegen, das wirklich heißt: nachhaltige Alternativen für die Landwirtschaft, nachhaltige Alternativen für das jetzige Ernährungssystem.

Die CDU fängt jetzt auch an, Anträge zu stellen, hier und im Bundesrat.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Künast.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die hätten Sie auch vor ein, zwei Jahren stellen können. Ich bitte Sie: Schreiben Sie jetzt nicht nur plakativ Anträge, sondern machen Sie mit bei der Aufstellung eines neuen Systems.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Künast, meine Bitte wäre, dass Sie zum Schluss kommen; wir können uns ja hier gegenseitig bitten.

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich gebe Hermann Färber das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)