Rede von Julian Pahlke Europäische Asyl- und Migrationspolitik

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17.02.2022

Julian Pahlke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Während wir heute hier im Parlament debattieren, warten auf dem Mittelmeer 247 aus Seenot gerettete Menschen auf einen sicheren Hafen. Nach monatelanger Flucht vor Bürgerkrieg und Verfolgung, Folter in den libyschen Gefängnissen und einer lebensgefährlichen Irrfahrt über das Mittelmeer hoffen sie in diesem Moment auf einen sicheren Hafen, ein sicheres Zuhause und ein Leben in Würde.

Ich war selbst als Seenotretter auf dem Mittelmeer, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, was es bedeutet, wenn Menschen auf der Flucht nicht wissen, wo sie einen sicheren Ort finden. Für diese Menschen ist Europa das Versprechen auf Sicherheit und einen funktionierenden Rechtsstaat. Aber diese Sicherheit gerät täglich in Gefahr. Wenn Geflüchtete an Land gehen, werden sie oft in prekären Lagern untergebracht; Familien verbringen den Winter in Zelten. Nach den schrecklichen Erlebnissen auf der Flucht gibt es oft keinen Rückzugsraum, keine sanitären Anlagen, keinen Strom. Die Lager werden immer mehr zu Gefängnissen mit meterhohen Mauern und Stacheldraht.

Dem gegenüber steht die riesige Solidarität in unserer Gesellschaft und in vielen anderen EU-Staaten. Alleine in Deutschland haben sich Hunderte Kommunen zu sicheren Häfen erklärt und wollen Geflüchtete bei sich aufnehmen. Drei Bundesländer setzen sich schon heute mit eigenen Landesaufnahmeprogrammen dafür ein und wollen ein sicherer Ort für Geflüchtete werden. Genau deshalb ist diese Koalition der Solidarität so zentral; denn der Grundstein unserer liberalen Demokratie, unser Grundgesetz, und unsere europäischen Grundrechte geben uns genau diesen Auftrag, das Leben, die Würde und die universellen Rechte zu schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Und damit sind wir nicht alleine. In Deutschland und in ganz Europa stehen Städte bereit; von Marseille über Palermo oder Straßburg wollen die Städte endlich etwas tun. Wenn wir jetzt den ersten Schritt machen, ist die größte Hürde genommen. Andere EU-Staaten können sich schon heute vorstellen, diesem Beispiel zu folgen.

Aber Sie von der CDU versuchen mit aller Kraft, den Zerfall der Europäischen Union herbeizufantasieren. Aber das Gegenteil ist der Fall: Wenn Deutschland und andere dazu bereit sind, werden Staaten wie Griechenland oder Italien merken, dass sie eben nicht alleingelassen werden.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Das ist es!)

Anstelle von Rechtspopulismus und Panikmache gibt es eine Bewegung der europäischen Solidarität, die alle EU-Staaten näher zusammenbringen kann, und die Geflüchteten, die in diesem Moment bei 2 Meter hohen Wellen an Bord der „Ocean Viking“ auf einen sicheren Hafen warten, bekommen eine Perspektive anstelle eines Feldbettes in einem unwürdigen Lager. So wird die Würde des Menschen vom Konjunktiv zur Realität.

Nach 16 Jahren Verhinderungspolitik der Union, dem Feixen von Horst Seehofer über 69 Abgeschobene und den Forderungen der sogenannten Christdemokratinnen, die Retter/-innen auf den Schiffen doch einfach zu verhaften, muss ich sagen: Endlich, endlich ist der Aufbruch da. Endlich geht dieses Land voran. Endlich übernehmen wir Verantwortung und verschließen nicht mehr die Augen vor dem Leid, das an unseren Außengrenzen entsteht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wenn die Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion in ihrem Antrag jetzt von „gekaufter Solidarität“ sprechen, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie etwas ganz Grundsätzliches überhaupt nicht verstanden haben. Denn Solidarität kann man nicht kaufen; Solidarität ist eine Haltung. Solidarisch ist man, sowohl mit den Ländern an den EU-Außengrenzen als auch mit den Menschen auf der Flucht.

(Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])

Aber was anderes habe ich von Ihnen auch gar nicht erwartet. Es war doch immer die Haltung der CDU, mit dem Finger auf andere Staaten zu zeigen und zu sagen: „Aber die anderen, die machen ja auch nicht mit.“ Was ist das denn für ein Anspruch an Politik? Was ist das für ein Verständnis von universellen Grundrechten? Weil es andere nicht tun, müssten wir es auch nicht?

Das, liebe Union, ist brandgefährlich. Es ist doch unsere Pflicht, die Würde und die Rechte eines jeden Menschen zu verteidigen, egal ob jemand in Papenburg oder in Aleppo geboren wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Denn hinter jeder Zahl stecken Menschen mit individuellen Geschichten, mit Erfahrungen, mit Wünschen und Träumen, die selbstverständlich einen sicheren Ort in diesem Land und in dieser Gesellschaft haben. Es sind Menschen wie mein lieber Freund Tareq Alaows, der monatelang zu Fuß aus Syrien geflohen ist, der in Deutschland eine neue, eine sichere Heimat gefunden hat und dem ich es von Herzen gewünscht hätte, heute und hier diese Rede zu halten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Was wir brauchen, sind würdevolle Fluchtwege, die das Leid endlich verhindern. Und genau dieser Weg beginnt mit der Aufnahmebereitschaft; denn mit der Koalition der aufnahmebereiten Staaten handeln wir nicht aus Mut. Wir handeln aus Verantwortung, aus Selbstverständlichkeit und aus Solidarität.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Auch zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag erteile ich das Wort Clara Bünger, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)