Rede von Katrin Göring-Eckardt Europäischer Rat und Asien-Europa-Gipfel

17.10.2018

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Brinkhaus, Sie haben zu Recht über die große Vergangenheit Europas als Friedensprojekt gesprochen, als dieses Gemeinsame, das wir haben, als das Größte und das Schönste, was wir zu verteidigen haben. Ich fände es gut, wenn wir über dieses Europa auch als ein echtes Zukunftsprojekt mit echten Ambitionen reden könnten; denn darum geht es heute und in diesen Tagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde, dass wir diese Verpflichtung haben angesichts dessen, dass 81 Prozent der Menschen in Deutschland sagen: Europa ist eine gute Sache. – Da sage ich Ihnen, Frau Merkel: So eine langweilige, unambitionierte, unleidenschaftliche Rede wie heute hier haben diese 81 Prozent der Deutschen nicht verdient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will in meiner Rede heute hier auf die zentrale Zukunftsfrage eingehen, über die wir in Europa gemeinsam reden könnten, was wir aber leider nicht tun. Herr Lindner, deswegen rede ich jetzt darüber, wie es in Europa mit dem Klimaschutz aussieht.

Frau Merkel hat in ihrer Rede von Vernunft, von Solidität, von Zuverlässigkeit gesprochen. 17 – in Worten: siebzehn! – EU-Vertragsverletzungsverfahren laufen gegen unser Land allein im Umweltbereich, meine Damen und Herren. Dabei geht es nicht um so etwas wie DIN-Normen oder Zollbestimmungen, sondern da geht es um Nitratbelastung im Wasser, da geht es um Luftverschmutzung, da geht es um die Gesundheit der Menschen in diesem Land. Ich finde, das können wir uns nicht leisten. Nur Griechenland und Spanien verletzen häufiger das EU-Recht als Deutschland. Es ist doch absurd, was wir da machen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der anderen Seite steht Deutschland auf der Bremse, Beispiel Artensterben. Es gibt immer noch keine Positionierung zur Gemeinsamen Agrarpolitik. Auch das Thema Glyphosat wird nicht gerade dazu dienen, Vertrauen zu schaffen, dass wir da eine Lösung erreichen. Bei den Fischfangquoten, Frau Klöckner, haben Sie an diesem Montag wieder gezeigt, worum es Ihnen geht. Ihnen sind die Fische in der Ostsee und die Jobs der Fischer egal, frei nach dem Motto: Ostseehering und Dorsch bye bye! Das ist europäische Politik, bei der Sie auf der Bremse stehen, die wir aber dringend bräuchten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Oder – ziehen wir es wieder ein bisschen größer – die Klimaziele, die CO 2 -Einsparung: Nur keine ambitionierten Klimaziele! Frau Schulze wurde an die Kette gelegt. Nicht einmal 5 Prozent mehr waren möglich. Und obendrauf gab es dann noch lasche CO 2 -Grenzwerte für die Autobosse. Ja wo leben wir denn?

(Christian Lindner [FDP]: „Die Autobosse“!)

– Die waren es ja, die wieder angerufen haben, Herr Lindner; darum geht es ja.

(Christian Lindner [FDP]: Hunderttausende Arbeitsplätze!)

– Ja, die Jobs; das ist genau der Punkt, über den ich jetzt gerne reden will.

Kommen Sie mir bitte nicht damit, Herr Lindner nicht, Frau Nahles nicht und auch sonst niemand: Mit Innovationen sichert man Jobs. –

(Christian Lindner [FDP]: Die deutsche Automobilindustrie ist innovativ!)

Man sichert sie mit Einsparung von Energie und Rohstoffen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da bin ich beim Internationalen Gewerkschaftsbund, der das mit einem Satz klar und deutlich auf den Punkt gebracht hat:

(Christian Lindner [FDP]: Unsere Automobilwirtschaft ist topinnovativ!)

Auf einem sterbenden Planeten gibt es keine Jobs. – Das ist der Punkt, um den es geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Lindner [FDP]: Das ist ein Klein- und Kaputtreden von Schlüsseltechnologie! Pure Ideologie!)

Sie unterzeichnen das Klimaschutzabkommen von Paris, und hinterher wird es von dieser Bundesregierung regelrecht sabotiert. Meine Damen und Herren, die Heißzeit ist keine Laune der Natur, sie ist menschengemacht. Im Moment trocknen der Rhein und die Spree aus.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Karsten Hilse [AfD]: Bravo!)

Das ist nicht mehr lustig, das ist ein riesiges Problem.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies ist der letzte EU-Gipfel vor der Klimakonferenz in Katowice. Warum bitte verweigern Sie sich der Initiative von Frankreich und Luxemburg, den Weltklimabericht zum Thema zu machen? Sie könnten ja ein Mal überraschen. Sie könnten zeigen, dass Sie aus dem Wahlergebnis in Bayern gelernt haben.

(Christian Lindner [FDP]: Frankreich und Belgien! Die großen Kernenergienationen! Das muss man mal in die Fußnote schreiben!)

Sie könnten zeigen, dass Sie verstanden haben, was für die Menschen bei der Wahl an diesem Wochenende ein entscheidendes Thema war – man hat es schon lange davor im Hambacher Wald, aber auch auf der Straße erlebt –: Klimaschutz ist ihnen zentral wichtig. Da reicht es nicht, nur ein Stichwort zu erwähnen, sondern das heißt, tatsächlich etwas zu tun und entsprechend zu verhandeln. Darum muss es gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Bundesregierung, stoßen Sie nicht länger die vor den Kopf, die in unserem Land engagiert, weltoffen und optimistisch sind. Hören Sie auf, gutes Regieren durch Kleinhäckseln der Probleme, die Sie selbst geschaffen haben, zu ersetzen. Wenn heute in Brüssel wieder einmal über den Brexit verhandelt wird, dann muss bei der Einigung doch auch eines klar sein: Es kann nicht sein, dass – das gilt für alles, was wir gemeinsam noch wollen, gemeinsamer Handel usw. – plötzlich europäische Gesundheits- und Umweltstandards infrage gestellt werden. Frau Merkel, das geht definitiv nicht. Sie müssen diese Standards erhalten, wenn Sie nach Brüssel fahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen will ich zum Schluss sagen: Die zentralen Probleme dieses Kontinents bleiben ungelöst: Klimaschutz, Flucht, gerechte Steuer- und Finanzpolitik. Das Ergebnis ist auf der einen Seite nationaler Populismus. Auf der anderen Seite sehen wir aber eine wachsende Mehrheit der Bürger in diesem Land, die Europa wollen, die eine soziale Union, Klimaschutz, eine tolerante Gesellschaft wollen und die dafür auf die Straße gehen – einmal abgesehen von der Initiative von Frau Wagenknecht. Das sind im eigentlichen Sinne die Bürgerinnen und Bürger Europas, die mehr Europa wollen, die weniger Kurzfristigkeit wollen, die mehr Kooperation und keinen Nationalismus wollen, die mehr Ökologie wollen. Hören Sie endlich auf mit ihrem Weiter-so! Hören Sie endlich auf mit Ihrem Warten auf irgendwelche Wahlen! Tun Sie endlich, was zu tun ist, und tun Sie nicht mehr nur so, als ob! Die Menschen haben das verdient.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)