Rede von Kai Gehring Europäisches Hochschulwesen

11.10.2018

Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehöre zu der Generation, die die Vorzüge eines gemeinsamen Europas von Anfang an erleben durfte. Dass sich unsere Eltern und Großeltern auf den mühsamen Weg heraus aus den Schützengräben hin zu Verständigung und Austausch gemacht haben, dafür bin ich unendlich dankbar, und ich denke sogar, wir alle.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Grigorios Aggelidis [FDP])

Aber das gemeinsame Europa ist bedroht. Die zerstörerische Kraft des Nationalismus rührt sich wieder, auch in Deutschland. Wir sind gefragt, unsere europäischen demokratischen Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität zu verteidigen, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Beste Bildung für alle zu ermöglichen, ist dafür ein ganz entscheidender Faktor. Unser Ziel ist, Europa zum Kontinent der Chancen für alle zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was bedeutet das für die Hochschulen? Das steht ja im Zentrum dieser Debatte. Drei große Themen möchte ich ansprechen.

Das erste Thema ist der europäische Hochschulraum. Vor 20 Jahren haben 30 Staaten den Bologna-Prozess gestartet, inzwischen machen 48 Staaten mit. Der europäische Hochschulraum grenzt mittlerweile an China. Für meine Fraktion ist klar: Wir wollen Austausch und Mobilität für alle verstärken und erleichtern. Ich sage auch klar: Wer gegen den Bachelor und den Master wettert, tritt die Leistungen der Absolventinnen und Absolventen dieser Studiengänge mit Füßen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Statt einer Rolle rückwärts wollen wir Bologna besser machen, zum Beispiel mit einer Anerkennungsgarantie für Studienleistungen aus dem europäischen Ausland und einer weiteren sozialen Öffnung der Hochschulen. Dafür muss die Bundesregierung viel mehr machen, und zwar ganz konkret.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ermutigend ist, dass den Neonationalisten Kontra gegeben wird. Die Bekenntnisse zu Wissenschaftsfreiheit und demokratischem Aufbau der Hochschulen sind ermutigende Signale vom Bologna-Treffen in Paris und auch im Antrag von Union und SPD, den wir heute debattieren.

Es ist richtig, bedrohten Wissenschaftlern und Studierenden aus dem Ausland zu helfen. Wichtig ist auch, jeden, auch hierzulande, zu schützen, der sich für demokratische Hochschulen einsetzt: den verfolgten türkischen Professor, die deutsche AStA-Vorsitzende oder die Genderforscherin, die von rechten Nationalisten eingeschüchtert werden soll. Das lassen wir nicht zu. Hochschulen müssen in ganz Europa Orte der Aufklärung bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Das zweite große Thema sind die europäischen Mobilitätsprogramme. Erasmus ist das EU-Erfolgsprogramm schlechthin. Erasmus organisiert den Austausch über Grenzen hinweg und eröffnet wertvolle Lebens- und Bildungserfahrungen, neue Sprachen und Kulturen. Es ermöglicht, europäische Gemeinschaft konkret zu erleben: im Hörsaal, am Schreibtisch oder am Küchentisch der Erasmus-WG. Davon sollten auch mehr Jugendliche aus finanzschwächeren Elternhäusern profitieren, die immer noch seltener ins Ausland gehen. Ein besseres BAföG, mehr Stipendien und auch eine Erhöhung der Fördersummen im Erasmus-Programm helfen dabei. Mobilität soll vom Grips abhängen und nicht vom Geldbeutel der Eltern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das dritte Thema sind die europäischen Hochschulnetzwerke. Uns ist wichtig, dass die 20 geplanten Pilot­hochschulen ein Mehr an Qualität bringen und auch in ganz Europa verteilt sind. Gerade mit Blick auf die bedrohte akademische Freiheit in einigen osteuropäischen Ländern wäre ich froh, wenn bestehende Leuchttürme freien Denkens wie zum Beispiel die CEU in Budapest einbezogen werden. Ich meine auch, in ganz Deutschland muss jede Universität und jede Hochschule für angewandte Wissenschaft Europa und Internationalisierung im Blick haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deutschland ist ein beliebtes Zielland für internationale Studierende und Wissenschaftler; das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können.

Sehr geehrte Damen und Herren, mehr Austausch ist ein Baustein für ein zusammenwachsendes Europa und eine konkrete Antwort auf Schwarzmalerei und Neonationalisten. Ich sehe dazu sehr viel Einigkeit hier im Haus. Leider haben Union und SPD die Chance für eine fraktionsübergreifende Initiative mit den europafreundlichen Fraktionen dieses Hauses erneut verpasst. Aber unsere grüne Hand bleibt ausgestreckt. Wir tun gut daran, die Begeisterung der Generation Erasmus für Europa gemeinsam zu stärken.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD])