Rede von Kordula Schulz-Asche Fortgeltung der Regeln zur epidemische Lage von nationaler Tragweite

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

12.02.2021

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die zahlreichen Debatten hier im Bundestag allein in dieser Woche zeigen, dass die Coronapandemie nach wie vor unser aller Leben bestimmt, dass die Lage ernst ist und gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger zunehmend mürbe werden und der Krise müde sind. Wir alle sehnen uns nach Normalität, nach einer Perspektive aus dieser Krise heraus.

Aber – so ehrlich müssen wir auch sein – wir sind noch nicht über den Berg. Deswegen ist ein weiteres Gesetz zur epidemischen Lage von nationaler Tragweite notwendig. Ich begrüße es ausdrücklich, dass jetzt die Regierungsfraktionen – und nicht allein die Regierung – die Initiative übernommen haben.

Aber, meine Damen und Herren, was Sie uns hier vorgelegt haben, ist leider inhaltlich wenig von dem zu unterscheiden, was wir bisher gesehen haben. Sie sind einfach nicht bereit – und das ist nach wie vor das Problem –, aus den bisherigen Erfahrungen zu lernen, oder Sie können es nicht. Und das ist der größte Fehler, den man in dieser Pandemie machen kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir brauchen Klarheit über die Rechtsgründe. In einer Demokratie ist es auch und gerade während einer Pandemie notwendig, die Einschränkung der Freiheitsrechte zu begründen; und begründet sind die Einschränkungen nur, wenn sie breit demokratisch legitimiert sind durch Bundestag und Bundesrat als verfassungsmäßige Organe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Sie müssen hier dringend nachbessern; denn breite demokratische Legitimation ist auch die Voraussetzung für die Akzeptanz von freiheitseinschränkenden Maßnahmen.

Weiter, meine Damen und Herren: In einer Demokratie muss das Krisenmanagement nachvollziehbar, vorausschauend und angemessen sein. Von der Regierung gibt es im Dreiwochenrhythmus autoritäre Ansagen. Auch jetzt finden wir in der Vorlage der Regierungsfraktionen keine Strategie, die den Weg durch die und aus der Coronakrise aufzeigen würde. Wir brauchen aber, meine Damen und Herren – sonst werden wir es nicht schaffen –, das überzeugte Mitmachen der Bevölkerung beim Überwinden der Krise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stephan Thomae [FDP])

Deswegen halten wir einen Stufenplan für den Weg, für die Perspektive aus dieser Pandemie für nötig, mit Einheitlichkeit von Regeln bundesweit und Anpassung an das jeweilige Infektionsgeschehen regional: Wann können Schulen, Restaurants, Theater, ja, wegen meiner auch Friseursalons wieder öffnen, und unter welchen Bedingungen müssen sie eventuell für bestimmte Zeiträume wieder schließen? Das brauchen wir doch als Sicherheit, als Information. Das ist für die Menschen so wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Die Regierung und jetzt auch die Regierungsfraktionen verweigern das, was wir seit Monaten fordern, einen interdisziplinären wissenschaftlichen Pandemierat, der sich aus unterschiedlichen Wissenschaftlern zusammensetzt, aus Virologen, aus Medizinern, aber auch Sozialwissenschaftlern, Wirtschaftswissenschaftlern und Pädagogen. Wir brauchen ein breites Spektrum von Wissenschaftlern, die Maßnahmen erarbeiten und vorschlagen, die während der Durchführung die Wirksamkeit der Maßnahmen bewerten – das macht doch im Moment keiner – und entsprechende Anpassungen empfehlen. Das ist die Aufgabe eines Pandemierats, den Sie seit Monaten verweigern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was Sie mit diesem Gesetzentwurf vorlegen, ist wirklich – ich habe es kaum geglaubt – eine halbherzige Evaluierung bis zum Jahre 2022. Wir brauchen solche Erkenntnisse aber jetzt, um die Maßnahmen jetzt zu begründen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich verstehe es einfach nicht; ich verstehe nicht, warum Sie es nicht verstehen. Wir müssen die Maßnahmen jetzt begründen, und zwar wissenschaftlich und interdisziplinär. Die Kommunikation dieser Regierung in dieser Pandemie gegenüber der Bevölkerung ist eine absolute Katastrophe. Das muss sich endlich ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE] – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wie sie die Grünen-Landesregierung praktiziert?)

Es sind nach wie vor viele Fragen offen: Wo sind die Produktionsanreize, zum Beispiel für Antigenschnelltests für den häuslichen Gebrauch? Eine wichtige Voraussetzung, um den öffentlichen Raum wieder öffnen zu können. Wo ist die gesetzliche Grundlage für die Impfpriorisierung, die der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und der Präsident des Bundessozialgerichts fordern?

Meine Damen und Herren, für Pflegeeinrichtungen drohen mit Ihrem jetzigen Gesetzentwurf sogar Verschlechterungen. Wir haben es gesehen: Vor allem ältere Menschen sind von dieser Pandemie betroffen – und ihre Angehörigen und die Einrichtungen, in denen sie gepflegt werden, und die Hausärztinnen und Hausärzte, die in diese Einrichtungen gehen und ihre Patienten weiter versorgen. Es war gut, dass Pflegeeinrichtungen in den Rettungsschirm aufgenommen wurden. Und die Priorisierung war gut, es war gut, dass mit dem Impfen in diesen Einrichtungen begonnen wurde. Aber, meine Damen und Herren, wir wissen noch nichts über die Folgeschäden. Und mit diesem Gesetzentwurf drohen nun sogar Mindereinnahmen; denn die Einrichtungen drohen jetzt aus dem Rettungsschirm rauszufallen, sie befürchten zum Teil einen Leerstand von bis zu 30 Prozent. Wir sollten lieber die Chance nutzen, die Heime für die Zukunft besser aufzustellen, damit sie krisenfester werden und damit nicht so viele Menschen in diesen Einrichtungen tatsächlich Opfer der Pandemie werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Herr Minister Spahn, wir haben ein Jahr lang bewusst versucht, konstruktive Opposition zu sein.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Stets bemüht!)

Denn in einer Krise passieren Fehler, vor allem in einer solch dynamischen Krise. Aber Fehler müssen benannt und korrigiert werden. Aber Sie wiederholen die alten Fehler, und damit verspielen Sie das notwendige Vertrauen der Menschen in dieser Krise. Legen Sie einen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Perspektiven-Stufenplan vor, und schaffen Sie die verfassungsrechtlichen Grundlagen dafür.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Thorsten Frei, CDU/CSU, ist der nächste Redner.

(Beifall bei der CDU/CSU)