Rede von Agnieszka Brugger Fortsetzung Resolute-Support-Einsatz in Afghanistan

15.03.2018

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz aller deprimierenden Entwicklungen in Afghanistan wäre es falsch, so zu tun, als ob sich in diesen 17 Jahren nichts zum Positiven verändert hätte. Ob mit Blick auf die Medienlandschaft, auf die Infrastruktur, auf die Gesundheit, auf die Frauenrechte oder auf den Bildungsbereich: Es gab einige Fortschritte. Bei allen unterschiedlichen Meinungen in diesem Haus, von der FDP bis zur Linkspartei, sind wir uns doch bei der Bewertung dieses Einsatzes in einem Punkt, glaube ich, alle einig: dass eine Lehre aus der Vergangenheit sein muss, dass wir zu wenig zivile Antworten gegeben haben. Das birgt die Verpflichtung, unabhängig vom Militäreinsatz hier viel mehr zu tun, und das auch noch sehr lange.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach 17 Jahren mit Militäreinsätzen in Afghanistan ist die Lage aber nach wie vor sehr gefährlich und sehr instabil. Der Frieden ist nicht nur nicht in Sicht, sondern rückt, wenn man sich die bedrückenden Zahlen anschaut, auch immer mehr in weite Ferne. Über 10 000 Menschen sind allein im letzten Jahr bei Anschlägen getötet und verletzt worden. Ein Bericht für den US-Kongress zeigt ein sehr deprimierendes Bild: Nur zwei Drittel des Landes sind noch unter Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte, und das heißt ja auch nicht, dass dort alles gut ist; ich nenne hier nur das Stichwort „Korruption“.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was aber aus meiner Sicht gar nicht geht – Herr Grosse-Brömer hat uns ja gerade Exzellenz versprochen –, ist, dass die Bundesregierung bezüglich der Frage von Abschiebungen und der Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan darauf verweist, dass es ja sichere Zonen gibt. Das haben Sie uns schon viele Monate erzählt. Wir haben nachgefragt. Der Kollege Nouripour hat sogar aufgedeckt, dass in einer Ihrer exzellenten Antworten Regionen aus dem Iran einbezogen sind. Das zeigt doch, dass Sie sich hier immer mehr in Widersprüche verstricken,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

wenn Sie sagen, dass dieser Militäreinsatz weitergehen muss, weil alles so schwierig wird. Da muss man sagen: Hören Sie doch endlich mit dieser schäbigen Praxis und diesen verlogenen Widersprüchen auf!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab vor ein paar Wochen einen Hoffnungsschimmer, eine große Konferenz mit breiter internationaler Beteiligung, die den Weg für mögliche Verhandlungen mit den Taliban und anderen Aufständischen bereiten sollte. Aber auch dieser Hoffnungsschimmer wird gleich wieder getrübt und gefährdet durch zwei Entwicklungen – eine ist vom Kollegen Liebich schon angesprochen worden –: Unter US-Präsident Donald Trump gibt es einen Rückfall in die gefährliche und bereits vor Jahren gescheiterte Logik, wieder militärische Eskalation zu betreiben. Man kann doch keine Verhandlungslösung anstreben, wenn das Erste, was dieser Präsident tut, ist, die größte Bombe, die er hat, auf Afghanistan abzuwerfen, die Geheimoperationen, die Luftangriffe wieder hochzufahren. So verhindert man diesen wichtigen Prozess.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dass der größte Truppensteller dort eine solch gefährliche Trendwende einleitet, führt bei der Bundesregierung zu gar nichts. Zu solch einem gefährlichen Kurswechsel kann man, wenn man gemeinsam in einem Einsatz ist, doch nicht einfach schweigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann reden Sie!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie erinnern sich vielleicht, wie die Taliban, als vor ein paar Jahren in Afghanistan die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattgefunden haben, versucht haben, das zu verhindern, und wie die Menschen trotzdem voller Hoffnung zu den Urnen gestürmt sind. Das war einer der Momente, wo sich wirklich etwas zum Positiven hätte verändern können. Wenn man sich aber anschaut, was die dann gewählte afghanische Regierung getan hat, wie die Hoffnung und Zukunft der Menschen verspielt worden ist – auch von anderen in der Opposition –, sowohl von der Einheitsregierung von Herrn Ghani und Herrn Abdullah als auch von der neuen selbsternannten Koalition zur Rettung von Afghanistan mit Warlords wie Atta Noor und Dostum, dann muss man sagen: Das ist das alte Spiel von Klientelpolitik und Korruption. Das führt immer weiter abwärts. Auch hier kann die Bundesregierung doch nicht schweigen.

Herr Maas, es ist schön, dass Sie hier Selbstkritik einfordern. Schauen Sie doch einmal in Ihren Perspektivbericht, der zu Recht nicht mehr „Fortschrittsbericht“ heißt. Da reden Sie genau diese Entwicklung schön. Hier müssen Sie wirklich einmal die Wahrheit sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, es ist nicht einfach. Aber diese harten, schwierigen Fragen nach dem Sinn, der Dauer, den Zielen und den Erfolgschancen dieses gefährlichen, langen und großen Militäreinsatzes muss man ehrlich stellen. Die Befürworter müssen sie endlich einmal beantworten. Gerade solche Einsätze brauchen eine gute Rechtfertigung, eine klare Strategie, Abzugsperspektiven und nicht nur leere Durchhalteparolen, wie sie hier die Bundesregierung und auch die Koalition geliefert haben.

Vielen lieben Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)