Rede von Dr. Tobias Lindner Fortsetzung SEA GUARDIAN-Einsatz im Mittelmeer

Foto von Tobias Lindner MdB
29.03.2023

Dr. Tobias Lindner, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir nehmen ja solche Debatten – und das übrigens völlig zu Recht – gern zum Anlass, den Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst – im konkreten Fall für die Erfüllung des Auftrags, den dieser Deutsche Bundestag ihnen gibt – zu danken. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schulden den Soldatinnen und Soldaten viel mehr als nur Dank oder eine Ausstattung, die ihrem Auftrag angemessen ist. Was wir den Soldatinnen und Soldaten schulden – da spreche ich als Kollege von Ihnen –, sind klare Auftragsgrundlagen, das ist die Legitimität ihres Auftrags, und das sind klare Rahmenbedingungen. Das, meine Damen und Herren, ist der Kern, um den es bei diesen Debatten über Mandate und Mandatsverlängerungen in diesem Hohen Hause geht. Deswegen möchte ich Sie heute nach den Beratungen in den Ausschüssen und im Namen der Bundesregierung bitten, das Mandat der maritimen Sicherheitsoperation Sea Guardian der NATO um ein weiteres Jahr zu verlängern; denn sie ist sinnvoll, und sie ist notwendig.

Diese Operation ist Teil des sogenannten 360-Grad-Ansatzes des Bündnisses, bei dem es darum geht, im gesamten Bündnisgebiet – überall und aus allen Dimensionen – jeder Art von Bedrohung entgegenzuwirken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht neu, aber es ist weiterhin zentral. Denn auch wenn derzeit im Rahmen der NATO unser besonderer Fokus zu Recht auf der Ostflanke des Bündnisses liegt, so bleibt auch die Lage an der Südflanke von großer Bedeutung für unsere Sicherheit. Dazu gehört gerade auch die Lage im Mittelmeer – ein stark frequentiertes Seegebiet und eine wichtige Handelsroute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Terroristische Gruppierungen nutzen das Mittelmeer weiterhin für Schmuggel und Waffenhandel. Sie versuchen, sich an den Grenzen Europas Rückzugsräume zu schaffen, und das beeinträchtigt unsere Sicherheit in der Europäischen Union und in der NATO. Dem müssen wir weiter entgegenwirken; dagegen müssen wir vorsorgen, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern auf verschiedenen Ebenen.

In diesem Sinne sind im Rahmen von Sea Guardian Einheiten von Schiffen und Flugzeugen im Einsatz, um den Seeraum zu überwachen und umfassende Lagebilder zu erstellen. Im Rahmen von Sea Guardian können Schiffe kontrolliert werden, im Extremfall auch gegen den Willen der Schiffsführung.

Weil ich schon weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass mir nachher eventuell mal wieder die eine oder andere Rede aus Oppositionszeiten vorgehalten wird, in denen ich Zweifel daran hatte, ob das, was wir heute hier beschließen, mandatspflichtig ist, muss ich Ihnen sagen: Der frühere Oppositionspolitiker Tobias Lindner hat seine Meinung deutlich geändert.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das Sein bestimmt das Bewusstsein! – Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])

Wir als Bundesregierung bitten Sie heute um eine Vollmacht, die im Extremfall – Frau Kollegin Dağdelen, da würde ich Ihnen das Zuhören empfehlen – den Einsatz oder die Androhung militärischer Gewalt – nämlich das Betreten eines Schiffes auch gegen den Willen der Besatzung, ein sogenanntes Opposed Boarding – beinhaltet. Damit besteht im Zweifel eine qualifizierte Erwartung für die Einbeziehung in einen bewaffneten Konflikt. Deswegen ist es billig und recht, dass dieses Hohe Haus und nicht die Bundesregierung am Ende des Tages die Entscheidung darüber trifft, ob wir unsere Soldatinnen und Soldaten in diesen Einsatz schicken oder nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Lassen Sie mich an der Stelle auf ein weiteres Gegenargument eingehen. Es heißt immer, im Rahmen des Einsatzes passiere nichts. Erstens. Allein die Möglichkeit, dass ein Schiff gegen den Willen der Besatzung betreten werden kann, gibt dem Mandat einen stark präventiven Charakter. Zweitens. Allein im letzten Jahr hat sich Deutschland daran beteiligt, dass über 3 000 detaillierte Abfragen von Schiffen im gesamten Mittelmeer durchgeführt worden sind und in eine Datenbank überführt wurden. Bei 17 Schiffen wurde im Rahmen eines sogenannten Maritime Situation Awareness Approach mit Zustimmung der Schiffsführung eine Kontrolle durchgeführt. Bei 21 Schiffen gibt es einen Verdacht auf eine kriminelle Handlung, dem weiter nachgegangen wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser deutsche Beitrag bei dieser Operation wird weiter benötigt. Deswegen bitten wir Sie heute, das bestehende Mandat ohne Anpassung im Vergleich zum Vorjahr um weitere zwölf Monate zu verlängern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich will an dieser Stelle aber auch betonen, dass mit Sea Guardian unser Engagement für die Mittelmeerregion nicht endet oder sich nicht darauf beschränkt. Im Sinne eines vernetzten Ansatzes engagieren wir uns mit weiteren Maßnahmen, um die Situation in der Region langfristig zu verbessern. So stehen wir ein für Demokratie vor Ort. Wir fördern eine gerechte, grüne und digitale Transition, und wir unterstützen die Entwicklung größerer politischer und wirtschaftlicher Teilhabe, vor allem von Frauen und jungen Menschen in der Region. Unser Engagement für nachhaltigen Frieden und Stabilität beispielsweise in Libyen bleibt konstant unverändert. Mit dem Berliner Prozess unterstützen wir nach wie vor die Bemühungen der Vereinten Nationen für einen Friedensprozess mit Parlaments- und Präsidialwahlen, die eine weitere Stabilisierung des Landes herbeiführen sollen. Im Rahmen der Union für den Mittelmeerraum leisten wir als größter Beitragszahler einen wichtigen Beitrag. Über die Ta’ziz-Partnerschaft stärken wir die Zivilgesellschaft, zum Beispiel in Tunesien, und auch im Klimabereich wollen wir mit den Staaten der Region enger als bisher zusammenarbeiten. In diesem Sinne unterstützen wir zusammen mit den Vereinigten Staaten eine ambitionierte Klimapolitik, beispielsweise in Ägypten über den sogenannten Water-Energy-Food-Nexus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit ist die Voraussetzung für den Erfolg all dieser zivilen Bemühungen, und Sea Guardian ist ein unverzichtbarer Baustein für die Sicherheit in dieser Region. In diesem Sinne bitte ich Sie im Namen der Bundesregierung um Ihre Zustimmung zu diesem Mandat.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Unionsfraktion hat das Wort der Kollege Peter Beyer.

(Beifall bei der CDU/CSU)