Rede von Omid Nouripour Fortsetzung UNIFIL-Einsatz im Libanon
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Krieg ist Leid; das wissen wir nicht erst seit dem fürchterlichen Überfall Russlands auf die Ukraine. Das wissen gerade die Menschen in Libanon seit Jahrzehnten. Sie haben so viel erleiden müssen in einem Land mit gewaltigen Potenzialen, mit einer glorreichen Historie und mit so viel kultureller Geschichte.
15 Jahre Bürgerkrieg: ein grausamer Bürgerkrieg, der so viele Kriegsverbrechen gesehen hat, viele Konflikte, viele konfessionelle Auseinandersetzungen, sehr viel Zersetzung gerade in den letzten Jahren, gerade durch die Hisbollah. Vor diesem Hintergrund diskutieren wir heute über die Verlängerung der Beteiligung des Einsatzes der Bundeswehr an der UN-Mission UNIFIL – ein Einsatz, der 44 Jahre alt ist, eine der ältesten Blauhelmmissionen, die es überhaupt gibt. Seit 2006 gibt es eine maritime Komponente; seitdem ist die Bundeswehr auch dabei. Man darf gar nicht vergessen und kann es nicht oft genug sagen: Es ist ein Einsatz, der damals einen Krieg beendet hat, ein Einsatz, der auf Wunsch sowohl des libanesischen Staates als auch der israelischen Regierung begonnen wurde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dieser Einsatz überwacht weiterhin den Waffenstillstand, der stets fragil ist. Wir sehen wieder Raketenbeschüsse der Hisbollah auf Israel in unregelmäßigen Abständen seit Mai letzten Jahres, und das ist nun nicht das erste Mal. UNIFIL soll den Waffenschmuggel nicht nur im Süden von Libanon, sondern vor allem in Libanon an sich überwachen und unterbinden. An Land funktioniert das nicht besonders gut, auf dem Seewege schon besser.
UNIFIL soll der Armee Libanons beistehen. Sie ist eine Institution, die in einem konfessionell doch sehr zerrissenen Land nationale Unterstützung genießt, und sie ist die einzige Plattform offizieller Art zwischen der israelischen und der libanesischen Regierung. Das ist schon an und für sich eine Errungenschaft. Das ist der Grund, warum meine Fraktion diesem Einsatz zustimmen wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es ist aber offensichtlich, dass der Libanon auch weit größere Probleme hat und auf noch unsicherere Zeiten zuläuft. Die Zukunft des Landes sieht alles andere als rosig aus. Es ist im Übrigen das Land auf der Welt mit der höchsten Rate von aufgenommenen Menschen: 1,5 Millionen Menschen aus Syrien. Das Land leidet massiv unter Korruption, unter dem Zerfall der Fragilität des politischen Systems, unter einer unglaublichen Finanzkrise, unter der Pandemie. Seit August des Jahres 2020 hat sich die Stadt Beirut, aber auch die Bevölkerung des gesamten Landes von der gewaltigen Explosion des Hafens nicht erholen können, des größten Handelsdrehkreuzes des gesamten Landes.
Wenn man sich die Zahlen der Weltbank hinsichtlich der Ökonomie des Libanons anschaut, dann sieht man: Das ist blanker Horror: Das Bruttoinlandsprodukt ist von 2019 bis 2022 um 58 Prozent runtergegangen. Die Inflation betrug letztes Jahr 224 Prozent. Das libanesische Pfund hat 90 Prozent an Wert verloren. Die Arbeitslosigkeit ist um 40 Prozent gestiegen. 80 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze. Die Weltbank bescheinigt dem Libanon einen Zerfall der Wirtschaft auf eine Art und Weise, wie es ihn in anderen Ländern der Welt in den letzten 150 Jahren selten gegeben hat.
Der Libanon hatte einmal eines der besten Gesundheitssysteme der gesamten Region. Dieses ist dabei, zu kollabieren. Die Lebensmittelpreise explodieren. Sie explodierten schon vor dem Krieg in der Ukraine. Jetzt ist es dadurch umso dramatischer, dass Putin nun Getreide und Düngemittel als Waffe einsetzt. Es droht – wer das Land kennt, hätte sich das vor 15 Jahren nicht vorstellen können – eine massive Hungersnot in diesem Land.
Obendrauf kommen die Energiekrise und eine Hisbollah, die keine Sekunde aufhört, zu provozieren. Wir haben es dieser Monate erlebt: Die Hisbollah hat gedroht, ein britisches Schiff zu versenken, weil sie sich davon innenpolitisch massiv etwas erhofft und darauf setzt, daraus im Konflikt mit Israel um das Gasfeld Karish einen Vorteil zu ziehen. Ich bin sehr dankbar, dass das Auswärtige Amt unter der Leitung der Außenministerin Annalena Baerbock dieser Tage sehr viel dafür tut, um diesen Konflikt zu dämpfen, und eingreift, damit es nicht wegen Gas in dieser Region zu einem weiteren Krieg kommt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Ich bin auch sehr dankbar, dass die Bundesregierung sehr genau weiß, dass die Hilfe, die wir im Libanon für Entwicklungszusammenarbeit, für humanitäre Hilfe und zur Transition zwischen diesen beiden Hilfen bereitstellen, wirklich sehr signifikant sein muss; denn genau das brauchen die Menschen im Libanon.
Obendrauf kommt die Notwendigkeit – und damit schließt sich der Kreis –, dass es, weil sich die Sicherheitslage verschärfen wird, internationale Präsenz braucht. Diese Präsenz bietet UNIFIL. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass in den letzten Jahren die Bundeswehr dort so viel geleistet hat. Ich möchte unseren Soldatinnen und Soldaten vor Ort einen Riesendank aussprechen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte nicht in irgendeiner Funktion und auch nicht nur im Auftrag meines Mandats, sondern aus tiefster Überzeugung als ein Freund des Landes, als einer, der dieses Land sehr oft besucht und sehr lieben und schätzen gelernt hat, sagen: Ich kann allen, die noch überlegen, wirklich nur empfehlen, sich das gewissenhaft anzuschauen und diesem Mandat, das eine kleine, aber signifikante und notwendige Hilfe für die Menschen im Libanon ist, zuzustimmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Yvonne Magwas:
Roderich Kiesewetter, CDU/CSU, ist der nächste Redner in der Debatte.
(Beifall bei der CDU/CSU)