Rede von Dr. Anna Christmann Freiwilligendienste

27.09.2018

Dr. Anna Christmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Freiwilliges Engagement ist das Rückgrat der Zivilgesellschaft und stärkt unsere Demokratie. Und dass wir unsere Demokratie jeden Tag aufs Neue verteidigen und stärken müssen, erleben wir derzeit leider viel häufiger, als wir es vielleicht noch vor einigen Jahren gedacht hätten. Es sind Zeiten wie diese, in denen es auf unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt ankommt.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht aber nicht von allein. Wir müssen ihn pflegen und Menschen ermutigen, sich für andere einzusetzen. Denn dort, wo Menschen sich gegenseitig helfen, ist weniger Raum für Hass und Hetze. Darum fordern wir mit unserem Antrag eine Stärkung der Freiwilligendienste und eine bessere Anerkennung für Engagierte.

Das Stichwort „Freiwilligenarbeit“ ist für uns dabei das Entscheidende, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU. Es ist schon sehr skurril, dass Sie über eine Dienstpflicht debattieren, während die Bundesregierung es nicht mal ansatzweise schafft, auch nur denjenigen, die sich engagieren wollen, einen Einsatz zu ermöglichen.

Für die Jugendfreiwilligendienste FSJ und FÖJ bewerben sich dreimal so viele junge Menschen wie derzeit Plätze zur Verfügung stehen. Für den Bundesfreiwilligendienst haben wir keine Zahlen; aber auch da deutet sich an, dass wir längst nicht allen, die sich für das Gemeinwohl engagieren wollen, ein Engagement ermöglichen können. Abgesehen davon, dass ein Pflichtdienst mit dem Recht auf Selbstbestimmung nur schwer in Einklang zu bringen ist: Wo wollen Sie die vielen Plätze herzaubern, und wie wollen Sie gute Rahmenbedingungen für eine Dienstpflicht bieten? Um Freiwillige auch langfristig für bürgerschaftliches Engagement zu gewinnen, ist eine positive Erfahrung mit Freiwilligenarbeit entscheidend. Wenn es nur darum geht, ein lästiges Jahr rumzubringen, ist das weder für die Einsatzstellen noch für die jungen Menschen selbst hilfreich, im Gegenteil.

Engagement lebt von der Freiwilligkeit. Freiwillige schenken ein Jahr ihres Lebens der Gesellschaft. Sie tun es ohne eigennützige Motivation und sie verdienen bessere Rahmenbedingungen. Aufgabe der Politik ist es, diese zu schaffen. Dafür machen wir in unserem Antrag einige Vorschläge. Drei möchte ich hier nennen:

Erstens. Wir brauchen ausreichend Plätze für alle, die sich engagieren wollen. Dafür fordern wir 100 000 zusätzliche Plätze für die Freiwilligendienste. Damit machen wir gesellschaftlichen Zusammenhalt erlebbar. Freiwillige gibt es in so vielen Bereichen, in denen ehrenamtlicher Einsatz das Gemeinwohl mehrt: in Kitas, in Geflüchtetenunterkünften, an Schulen, in Jugendzentren, in Pflegeeinrichtungen und an so vielen weiteren Orten, an denen die Solidargemeinschaft sichtbar wird.

Zweitens: kreative Anreize für junge Menschen. Dazu wollen wir den jungen Engagierten ermöglichen, im Anschluss an ihren Einsatz Europa zu entdecken. Mit einem kostenlosen Interrailticket wollen wir allen Freiwilligen unter 27 Danke sagen.

Drittens: bessere Rahmenbedingungen. Wer sich freiwillig engagiert, erwartet kein volles Einkommen. Aber Freiwillige dürfen zurecht erwarten, dass ihnen keine Steine in den Weg gelegt werden. Zusammen mit den Ländern muss sich die Bundesregierung endlich für eine Übernahme der Fahrtkosten zum Einsatzort einsetzen. Zusätzliche Unterstützung muss einfacher zu beantragen sein, und ein angemessenes Wohngeld in teuren Ballungsräumen sollte selbstverständlich sein. Der Bundesrat fordert das im Übrigen längst.

Das alles könnten Sie also tun. Im aktuellen Haushaltsentwurf sollen aber im Gegenteil die Mittel für den Bundesfreiwilligendienst um fast 20 Prozent sinken. Der Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug soll ersatzlos wegfallen – es sollen also weniger Plätze statt mehr werden. Das hat doch nichts mit einer Stärkung der Freiwilligendienste zu tun. Das ist das glatte Gegenteil.

Ehrenamtliches Engagement ist das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das geht alle Demokratinnen und Demokraten etwas an. Deswegen fordere ich die Regierungsfraktionen auf: Setzen Sie eine Stärkung der Freiwilligendienste zügig um, statt Plätze zu kürzen. Und verirren Sie sich nicht in Dienstpflichtdebatten, die die Trägerinnen und Träger der Freiwilligendienste selbst gar nicht wollen.