Rede von Corinna Rüffer Gasgeräte, Pflegeeinrichtungen, Sozialgesetzbuch

13.12.2018

Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Einen schönen guten Abend an alle anderen! Ich glaube, alle hatten jetzt Weihnachtsassoziationen, ich natürlich auch. Ich hatte so ein bisschen Hoffnung, ehrlich gesagt. Sie haben ja die Änderungen im SGB IX und im SGB XII hinter den Regelungen zu den Gasgeräten versteckt. Da dachte ich: Vielleicht möchte die Bundesregierung uns ein kleines Geschenk an Weihnachten machen und uns damit überraschen, dass sie jetzt endlich tatkräftig die UN-BRK umsetzen möchte. Aber ich habe mich getäuscht. Das war eigentlich auch nicht anders zu erwarten.

Wir haben hier so einen ganz kleinteiligen Gesetzentwurf vor uns liegen, der natürlich notwendig ist und dem wir am Ende auch zustimmen werden. Aber eigentlich geht es doch um etwas Größeres, nämlich, wie gesagt, darum, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und endlich das zu machen, was angekündigt war: das Bundesteilhabegesetz zu ändern und an wesentlichen Stellen fortzuentwickeln. Nach dem Gesetz ist vor dem Gesetz, und das, was Sie hier vorlegen, entspricht dem eigenen Anspruch natürlich nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jens Beeck [FDP])

Ich möchte das einmal an einem Beispiel deutlich machen: Wir haben es hier mit dem erweiterten Führungszeugnis zu tun, das Voraussetzung dafür ist, in Einrichtungen der Behindertenhilfe zu arbeiten. Es ist auch völlig richtig, dass dieses Führungszeugnis um diese zwei Straftatbestände ergänzt wird.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Gut!)

Aber wir müssen uns schon mal vor Augen führen, was hier eigentlich los ist: dass Gewaltschutz natürlich ein riesiges Thema ist im Zusammenhang mit Menschen und Behinderungen, dass wir ein Konzept brauchen, eine Strategie brauchen, um diese Gewalt endlich zu beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte diejenigen, die in der letzten Legislatur schon hier im Deutschen Bundestag waren, an etwas erinnern: Das Team Wallraff hat auf RTL eine ganz populäre Sendung gebracht – die haben viele, viele Menschen gesehen –, in der es darum ging, wie Menschen in Werkstätten und Wohnheimen entwürdigt und geschlagen wurden. Damals hat die Staatsanwaltschaft gegen Träger wie die Lebenshilfe und andere ermittelt. Das ist ein Beleg dafür, dass hier Gewalt stattfindet und dass wir es mit einem strukturellen Problem zu tun haben und nicht mit Einzelfällen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich will Ihnen mal was sagen, liebe Bundesregierung: Das wissen wir spätestens seit 2011. Damals haben Sie selber ein Gutachten in Auftrag gegeben, das sich mit – ich lese den Titel vor – „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen“ auseinandergesetzt hat. Sieben Jahre sind seitdem vergangen. Was hat dieses Gutachten zutage gebracht? Dass Frauen, die behindert sind, in ihrem Leben zwei- bis dreimal häufiger als alle anderen Frauen von sexueller Gewalt nicht bedroht, sondern betroffen sind – zwei- bis dreimal so häufig. Das sind oft Frauen, die in Einrichtungen leben, die wir immer als beschützende Einrichtungen bezeichnen. Jetzt stellen wir fest, dass diese Einrichtungen nicht schützen, sondern oft das Gegenteil tun. Die Bundesregierung ist gefordert, endlich eine Strategie vorzulegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich warte seit Jahren darauf, dass hier wirklich etwas kommt und nicht nur gekleckert wird.

Ein zweites Beispiel, um unseren Blick zu weiten und zu verstehen, worüber wir hier eigentlich reden – ich glaube, das tut uns gut –: Wir haben es gerade mit einem jungen Mann zu tun, 31 Jahre alt, der 25 Jahre lang in Einrichtungen gelebt und sich vor sechs Jahren aus einer Einrichtung herausgekämpft hat; er hat mit Assistenz gelebt. Was ist dann passiert? 2015 hat die Behörde angefangen, ihm sukzessive das Geld zu streichen. Heute bekommt er kein Geld mehr, obwohl das Bundesverfassungsgericht zu seinen Gunsten entschieden hat, drei Eilverfahren hinter uns liegen und sogar gegen eine Behörde zwangsvollstreckt wurde. Das hilft ihm alles nichts. Dieser Mann hat riesige Schulden; ihm hilft kein Mensch. Es entsteht gerade eine Bewegung, und ich möchte, dass wir heute von hier aus versprechen, dass dieser Mensch nie wieder in eine Einrichtung der Behindertenhilfe zurück muss und so leben kann, wie jeder andere auch, inklusiv, mit wem er möchte und mit der Unterstützung, die er braucht.

Das bedeutet, dass wir Nachbesserungen im Bundesteilhabegesetz brauchen. Wir hätten das klar formulieren können. Wir wussten, dass solche Fälle vor uns liegen. Es ist jetzt Zeit. Ich wünsche mir etwas zu Weihnachten, nämlich dass wir im nächsten Jahr an den zentralen Stellen dieses Gesetzes so nachbessern, dass Teilhabe in diesem Land endlich Realität wird und nicht eine blöde Weihnachtsgeschichte bleibt.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)