Rede von Manuel Sarrazin Gedenken an die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs

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09.10.2020

Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im letzten Jahr hat Außenminister Heiko Maas im Museum des Warschauer Aufstands eine würdevolle und sehr bewegende Rede gehalten. In den Augen der anwesenden polnischen Menschen, auch des Außenministers, sah man die Erleichterung, das Leid ihres Landes nicht mehr dem Land der Täter erläutern zu müssen – der Eindruck, dass wir uns auch des Ausmaßes der Geschehnisse bewusst sind. Das Symbol dafür war die Zusage von Heiko Maas, sich einzusetzen für einen Gedenkort im Zentrum Berlins für die Opfer auf dem Gebiet der ehemaligen Zweiten Polnischen Republik zwischen 1939 und 1945. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir mit dem Außenminister einen Fürsprecher für diese Idee gefunden haben, aber ich möchte auch sagen: Der entsprechende interfraktionelle Antrag fehlt heute hier in dieser Debatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als mein Großvater 1939 nach Polen einmarschierte – so erzählte er mir oft –, sang er ein Lied, ein Schmählied auf Stanislaus – Stanislaus Poniatowski. Er marschierte ein nicht als Nazi, er marschierte ein als Deutscher, er marschierte ein als Teil einer deutschen Gesellschaft, die die Nation Polen auslöschen wollte; breite Teile der deutschen Gesellschaft teilten dieses Ziel.

Deswegen ist es für viele Menschen in Polen heute schwer zu verstehen, wenn wir plötzlich vor einer Nationalisierung der Erinnerung warnen. Ich denke auch, dass wir – im Gegensatz zu dem, was die Kollegen von ganz rechts gesagt haben – nicht eine Instrumentalisierung der Nation als erinnerungspolitische Motivation benutzen sollten. Aber wir können doch nicht den Nationen in Europa einen Platz im Gedenken zuweisen, Kollegin Schieder.

Die polnische Nation hat ihren Platz bereits. Das polnische Gedenken, das ukrainische Gedenken, das belarussische Gedenken, das russische Gedenken – alle diese haben aus sich selbst heraus ihren Platz. Wenn wir es schaffen wollen, dass wir nach dem Versterben der Zeitzeugengeneration auch bilateral in die Verfassung kommen, diese gedenkpolitischen Unterschiede mit uns kommunikativ und auch in Ritualen in eine Verbindung zu setzen, dann müssen wir ihnen sagen: Ihr müsst uns nicht erklären, wie ihr gedenkt. Wir haben keine Angst davor, mit euch gemeinsam zu gedenken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen – und ich komme zum Schluss – bin ich mir sicher, dass die Kombination aus dem heutigen Antrag und aus dem Antrag, der für die nächste Sitzungswoche auf der Tagesordnung steht, ein guter Weg sein kann, um beidem gerecht zu werden: dem Erinnern, dem Lernen und dem Gedenken, auch dem politisch ritualisierten Gedenken zwischen Staaten. Deswegen möchte ich sagen: Ich freue mich darauf, dass wir in drei Wochen darüber entscheiden. Sollte die Koalition sich wieder einmal nicht in der Lage sehen, in der nächsten Sitzungswoche hier den gemeinsamen Antrag einzubringen, werden die Grünen wie auch heute den Text auf eigene Faust einbringen und Sie nach zwei Jahren endlich zu einer Entscheidung über diese Sache zwingen.

Danke sehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)