Rede von Lukas Benner Gedenktag am Tag des Grundgesetzes

Lukas Benner MdB
24.05.2023

Lukas Benner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Während meiner Studienzeit in Bonn bin ich in langen Lernpausen immer mal wieder am Museum Koenig vorbeispaziert und habe versucht, mich in das Jahr 1949 zurückzuversetzen. Am 23. Mai, also gestern vor genau 74 Jahren, verkündete dort der Parlamentarische Rat das Grundgesetz, inmitten von Trümmern, inmitten einer Gesellschaft, die für das größte Menschheitsverbrechen der Geschichte verantwortlich war – ein Grundgesetz mit Weitblick und Bescheidenheit, in seiner Sprache bestimmt, schnörkellos, präzise. Wie glücklich können wir uns schätzen, dieses Grundgesetz zu haben, diese unglaubliche Erfolgsgeschichte!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung von Grundrechten sind aber keine Selbstverständlichkeit; das wird bei einem Blick in die Welt deutlich: in die Ukraine, wo Russland seinen grausamen Vernichtungskrieg fortsetzt, in den Iran, wo das Regime erst vor wenigen Tagen weitere Demonstranten hingerichtet hat, in die USA, wo im Bundesstaat Florida unter Gouverneur Ron DeSantis Schulunterricht über Homosexualität verboten und somit essenzielle Freiheiten drastisch eingeschränkt wurden. Und ich finde es unerträglich, mit welcher Gleichgültigkeit unsere Gesellschaft inzwischen hingenommen hat, dass jedes Jahr Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken.

Das Grundgesetz wurde in den letzten 74 Jahren immer wieder an neue Realitäten angepasst. Der Artikel 87a, das Sondervermögen für die Bundeswehr, ist der jüngste Ausdruck davon.

Dass auch die Gerichtsbarkeit einen entscheidenden Anteil daran hat, unsere Verfassung zeitgemäß auszulegen, zeigen wohl wenige Beschlüsse so deutlich wie jener zum Artikel 20a, der unter dem Stichwort „Klima-Beschluss“ bekannt geworden ist.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Oh Gott! Das war die größte Sünde!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, mit einem gewissen Erstaunen habe ich Ihren Antrag gelesen, und zwar, weil ich ihn ganz seltsam verkrampft finde.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ach so? – Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD] – Gegenruf des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU]: Der war vorher schon fertig! – Gegenruf der Abg. Schahina Gambir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich weiß nicht, was Sie am Wochenende mit Ihrer Grundsatzkommission am Comer See alles gemacht haben; aber das Heimweh muss erschreckend groß sein, wenn man auf dem Weg nach Deutschland an jeder Laterne eine Fahne anbringen will.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wollen ein „Bundesprogramm Patriotismus“ auflegen, den Reichstag als Zentrum patriotischer Selbstvergewisserung stärken. Weiter heißt es: auch hierzulande lebende Ausländer sollen von den verbindenden und einladenden Potenzialen des Patriotismus angesprochen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Philipp Amthor [CDU/CSU]: Ja! Genau! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ja! Genau so ist es!)

Meine Damen und Herren, da helfen doch keine Fahnenappelle und die Nationalhymne, sondern da hilft ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Schahina Gambir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Zuruf des Abg. Philipp Amthor [CDU/CSU])

das Sie so lange blockiert haben und das wir als Ampel endlich umsetzen wollen.

Patriotismus per Dekret, so wie Sie es in Ihrem Antrag vorschlagen – das offenbart ein herrisches, ein autoritäres Gesellschaftsverständnis, das mich mehr als irritiert. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Fraktion Die Linke erteile ich das Wort Janine Wissler.

(Beifall bei der LINKEN)