Rede von Erhard Grundl Generaldebatte Bundeskanzleramt

Foto von Erhard Grundl MdB
23.11.2022

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann die Zukunft nicht sehen, aber ich spüre, dass sie uns ganz genau beobachtet. – Das ist ein Zitat der Songwriterin Annie Clark, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen St. Vincent. Und ja, wir sollten uns von der Zukunft beobachtet fühlen; denn die Zeiten, in denen wir glauben durften, wir könnten unser Tun vor der Zukunft verbergen, sind endgültig vorbei.

Wenn wir als Kulturpolitiker/-innen mit den Protesten der „Letzten Generation“ in den Museen und Galerien konfrontiert sind und vielleicht darüber den Kopf schütteln, müssen wir uns trotzdem vergegenwärtigen, dass wir heute an der Schwelle stehen, wo sich viele Gewissheiten der Vergangenheit in Auflösung befinden, auch in der schönen Welt der Kunst oder vielleicht gerade dort.

Populismus taugt nicht zum Regieren, schrieb Carolin Emcke kürzlich in der „Süddeutschen“. Populismus taugt in einer Demokratie auch nicht zur Opposition.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer die „Last Generation“ mit der RAF in Verbindung bringt und sie in einem Atemzug nennt,

(Stephan Brandner [AfD]: … der hat recht!)

der verhöhnt letztendlich die 34 Mordopfer der RAF.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Herr Grundl, der hat vollkommen recht!)

Das Einzige, was Sie, Herr Dobrindt, beherrschen, ist das kleinkarierte Einmaleins der Hetzer und Spalter.

(Widerspruch bei der CDU/CSU – Stephan Brandner [AfD]: Ehre, wem Ehre gebührt!)

Das weisen wir auf das Schärfste zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Um die Welt der alternativen Fakten mit der Realität zu konfrontieren, braucht unsere Demokratie eine freie Presse als Grundlage für faktenbasierte Meinungsbildungsprozesse

(Stephan Brandner [AfD]: Schön wär’s!)

und ein diverses Medienangebot. Dafür brauchen wir unerschrockenen Journalismus, der die Finger in die Wunden legt. Das gilt für Deutschland, und das gilt im Angesicht von Krieg, Unterdrückung und Verfolgung über unser Land hinaus. Darum fördert die Ampelkoalition mit rund 2,3 Millionen Euro Projekte zur Stärkung der Medienvielfalt, Projekte für Journalistinnen und Journalisten sowie Programme zur Stärkung der Medienkompetenz. Darum haben Annalena Baerbock, Claudia Roth und die Ampelkoalition Schutzprogramme für verfolgte Journalistinnen und Journalisten im Exil aufgesetzt; denn die Stimmen der kritischen Berichterstatter/-innen werden auch in ihren Herkunftsländern dringend gebraucht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, zur Zukunft gehört auch der Blick in die Vergangenheit. Darum ist uns als Ampel die Erinnerungskultur so wichtig. Wir fördern die Digitalisierung von Dokumentationsbeständen zum Nationalsozialismus, wir stärken die Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“, um einen Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen zu entwickeln, und wir stärken das Erinnern vor Ort.

In München war die Bauhaus-Synagoge in der Reichenbachstraße jahrelang hinter Bauzäunen und Plastikplanen verborgen. 1970 starben hier bei einem Brandanschlag auf das angrenzende jüdische Altenheim sieben Menschen. Der Brand wurde im Treppenhaus gelegt, sodass eine Flucht vor dem Feuer unmöglich war. Die unfassbare Tat ist bis heute nicht aufgeklärt, die Täter wurden nicht gefasst. Nun erhält die Synagoge in München 44 Prozent der Gesamtausgaben für die Renovierungskosten aus dem Bundeshaushalt. So kann die Bauhaus-Synagoge wieder als selbstbewusstes Zeichen jüdischen Lebens sichtbar sein – eine Entscheidung, für die ich der Ampelkoalition sehr dankbar bin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, Erinnern heißt nicht Historisieren oder Schönreden, was nicht schön ist, –

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Grundl, berücksichtigen Sie die Interessen Ihrer Kollegen.

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– wie zum Beispiel das unsägliche Spruchband an der Kuppel des Humboldt Forums als Überschrift für ein Haus, das ein Haus der Weltoffenheit sein will. Der Spruch hat nichts mit Weltoffenheit zu tun. Dort sollte besser Artikel 1 des Grundgesetzes stehen: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Thorsten Frei das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)