Rede von Katharina Dröge Haushalt 2022 - Generaldebatte Bundeskanzleramt

Die grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge am Redepult des Deutschen Bundestages während ihrer Rede zum Bundeshaushalt 2022

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23.03.2022

Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gestern Abend einen Artikel gelesen, geschrieben von den letzten zwei verbliebenen internationalen Journalisten, die bis vor Kurzem noch aus Mariupol berichtet haben. Sie haben geschrieben: Wir sind geblieben, obwohl es lebensgefährlich war, weil die Welt wissen muss, was hier passiert, weil die Welt wissen muss, wie die Wahrheit aussieht. – Und sie haben recht.

Es ist unser aller Aufgabe, über die Wahrheit in diesem Krieg zu sprechen, auch wenn sie kaum auszuhalten ist, auch wenn die Bilder, die Geschichten, die wir über diesen Krieg erfahren, so unerträglich sind, dass man kaum darüber sprechen kann: über die Kinder, die im Bombenhagel sterben, über Geburtskliniken, die beschossen werden, und über die vielen Toten, die nicht einmal mehr ordentlich begraben werden können. Über all das müssen wir sprechen. Die Welt muss die Wahrheit wissen; denn nichts fürchtet Putin mehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Deshalb unterdrückt er gerade mit allen Mitteln immer härter und immer autoritärer die Informationsmöglichkeiten für sein eigenes Volk. Deshalb sperrt er jeden in Russland weg, der es wagt, einen anderen Gedanken zu formulieren. Nichts fürchten autoritäre Regime mehr als die Idee von Demokratie und Freiheit. Auch deshalb versucht Putin gerade, die Ukraine zu zerstören.

Doch an dieser Stelle – das sage ich ganz klar – hat Putin den Krieg schon längst verloren. Die Idee von Demokratie und Freiheit, die ist so stark, die kann man nicht wegbomben;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

die ist so stark, die kann man auch nicht wegsperren. Das beweisen ihm die vielen mutigen Menschen in seinem Land jeden Tag. Und es ist unser aller Aufgabe hier in Europa, dies zu verteidigen.

Zu den wenigen positiven Erfahrungen in dieser dunklen und grausamen Zeit gehört es, dass die EU, dass die demokratischen Länder in Europa es geschafft haben, hier gemeinsam zu stehen.

(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es ist gut, zu sehen, mit welcher Geschlossenheit, mit welcher Entschlossenheit die europäischen Staaten direkt nach Kriegsbeginn gemeinsam mit ihren Verbündeten ein hartes, ein scharfes Wirtschaftssanktionspaket auf den Weg gebracht haben in einem Ausmaß, das wir vorher noch niemals beschlossen hatten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

mit Maßnahmen wie der Sanktionierung der russischen Zentralbank, über die wir vorher noch nicht einmal diskutiert hatten. Diese Sanktionen werden die russische Wirtschaft hart treffen; sie leidet jetzt schon stark darunter. Aber es ist natürlich wichtig, dass wir weiter an zusätzlichen Sanktionen arbeiten, jeden Tag, auch mit Blick auf die fossilen Importe aus Russland.

Ich bin extrem froh, dass die Europäische Union es in dieser Krise geschafft hat, zusammenzustehen in einer Frage, an der sie in der Vergangenheit immer gescheitert ist, dass sie es geschafft hat, jetzt solidarisch zusammenzustehen bei der Aufnahme der vielen Geflüchteten, die aus der Ukraine zu uns kommen. Alle haben gesagt: Wir helfen schnell und unbürokratisch. Wir kriegen das gemeinsam hin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dass das funktioniert, liegt auch an der großartigen Hilfsbereitschaft der Menschen überall in Europa: der Menschen, die einfach zu Hauptbahnhöfen gehen und den erschöpften Familien, die dort ankommen, einen Platz in ihrer eigenen Wohnung anbieten; der Ehrenamtlichen, der Zivilgesellschaft, der Feuerwehr, des THW, die schon während Corona so viel geleistet haben und die auch jetzt wieder da sind und ganz selbstverständlich helfen und Infrastruktur und Unterstützung aufbauen. Ihnen allen gehört unser Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Es ist unser Job, diese Hilfe jetzt besser zu koordinieren. Es ist unser Job, die Kommunen hierbei zu unterstützen. Und es ist auch unser Job, die Länder innerhalb Europas zu unterstützen, die hierbei an ihre Grenzen stoßen. Deswegen ist es so wichtig, dass unsere Außenministerin Annalena Baerbock gerade noch mal betont hat, dass es eine Luftbrücke innerhalb der Europäischen Union braucht, um zu einer gemeinsamen und solidarischen Unterbringung und Verteilung der geflüchteten Menschen zu kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was Putin gerade macht, erschüttert ganz Europa. Es ist ein Angriffskrieg, der unser aller Sicherheit infrage stellt. In so einer krassen Situation muss Politik in der Lage sein, Entscheidungen neu zu bewerten. Dazu gehört für uns auch die Entscheidung über Investitionen in unsere eigene und in die europäische Sicherheit. In dieser gefährlichen Zeit, in der die Sicherheit in Europa so herausgefordert ist, ist es sinnvoll, dass die deutsche Bundesregierung die Ausgaben für unsere eigene Sicherheit deutlich erhöht. Und deshalb ist es richtig, ein Sondervermögen außerhalb der Schuldenbremse zu schaffen, das diese Investitionen ermöglicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Warum denn außerhalb?)

Herr Merz, ich habe Ihrer Rede sehr gut zugehört, und sie hat mich in Teilen erschüttert. Es hat mich erschüttert, dass Sie es geschafft haben, so lange an diesem Rednerpult zu stehen, ohne einen einzigen Satz über die Situation der Menschen in der Ukraine zu verlieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Das wäre Ihre Verantwortung gewesen. Ich finde es unangemessen, dass Sie das nicht getan haben.

Und auch bei dem, worüber Sie gesprochen haben, habe ich mich gefragt, warum das so verwirrt war. Dass Sie ausgerechnet der FDP vorwerfen, dass sie es in den 16 Jahren, in denen die CDU/CSU das Verteidigungsministerium verantwortet hat, und in einer Zeit, in der Wolfgang Schäuble Finanzminister war, nicht gebacken gekriegt hat, die Bundeswehr mit ausreichender Ausrüstung zu versorgen, das fand ich eigentümlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Ich sage Ihnen auch: Ja, wir müssen mehr in die Sicherheit investieren, und wir müssen mehr in die Ausrüstung der Bundeswehr investieren. Aber es waren Ihre Beschaffungspannen, die dazu geführt haben, dass sie jetzt so schlecht aufgestellt ist.

Wir müssen Sicherheit auch breiter definieren. Sicherheit im 21. Jahrhundert bedeutet, gegen Cyberangriffe gerüstet zu sein; das ist moderne Sicherheitspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und Sicherheit heißt auch, unsere Partnerländer beim Thema Sicherheit zu unterstützen. Wir leben in einer global vernetzten Welt; da kann man Sicherheit nicht mehr national denken. Ich habe es Ihrerseits als ein bisschen störrisch wahrgenommen – nur so kann ich mir das erklären –, dass Sie das, was wir gemeinsam im Rahmen der NATO als Sicherheitsbegriff verankert und vereinbart haben und worauf Sie Ihre Haushaltsplanung in den letzten 16 Jahren gestützt haben, jetzt hier infrage stellen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es gesagt: In einer Zeit, die so krass ist wie diese, muss man in der Lage sein, Fragen neu zu bewerten und zu neuen Schlüssen zu kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und deswegen, Herr Merz, habe ich mich auch gewundert, dass wir in Ihrer Rede keinen einzigen Satz zum Thema Energiesouveränität gehört haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir sind in fatalem Maße abhängig von russischem Gas, von Kohle und Öl. Es ist die Politik der Union in den letzten 16 Jahren gewesen, die uns in diese fatale Abhängigkeit geführt hat. Wir müssten nicht in dieser Situation sein, wenn wir Ernst gemacht hätten mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und mit der Energieeffizienz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Was wir in den letzten Jahren von Ihnen immer wieder gehört haben, zuallererst bei dem Projekt Nord Stream 2, war: Projekte mit Russland, das ist nur Wirtschaft.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Entschuldigung, der Bundeskanzler war das!)

Ich sage Ihnen, davon müssen Sie sich ein für alle Mal, schlussendlich verabschieden. Man kann mit autoritären und totalitären Regimen keine Geschäfte machen,

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Dann sagen Sie das Herrn Habeck!)

ohne dass es außenpolitische Bedeutung hat.

(Zurufe von der AfD und der LINKEN)

Man kann sich nicht derart vom Import fossiler Brennstoffe abhängig machen, ohne dass das ein extrem hohes Sicherheitsrisiko mit sich bringt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Meine Güte!)

– Ich weiß, warum Sie jetzt hier schreien. Ich gebe Ihnen darauf eine ganz klare Antwort: In dieser Situation, in der wir so abhängig sind von fossilen Brennstoffen aus Russland, in dieser Situation, in der Putin Kinder bombardiert, müssen wir alles dafür tun, um von russischem Gas unabhängig zu werden.

Und weil auf den Weltmärkten gerade nichts anderes zu kaufen ist, muss man es auch in Katar und Saudi-Arabien kaufen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der AfD)

Aber das heißt eben auch: Wenn man es mit dieser Politik ernst meint, dann muss man jetzt den Weg gehen, sich unabhängig zu machen von fossilen Brennstoffen,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf der Abg. Amira Mohamed Ali [DIE LINKE])

dann kann man nicht, was Sie hier die ganze Zeit fordern, den Kohleausstieg zurückdrehen, den Atomausstieg zurückdrehen. In Bayern und in Nordrhein-Westfalen den Ausbau der Windenergie zu blockieren, das ist eine Politik, die den Ernst der Lage, die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Herr Merz, Sie haben in Ihrer Rede kein einziges Wort zum Thema Energieeffizienz gesagt. Sie haben in Ihrer Rede keine Perspektive aufgezeigt. Ich frage mich ganz ehrlich: Warum hat die Union mehr Angst vor Wärmepumpen, vor der energetischen Gebäudesanierung und vor Windrädern als vor der Abhängigkeit von autoritären Regimen? Diese Antwort müssen Sie geben!

(Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])

Ich sage Ihnen eines: Diese Regierung wird einen Aufbruch schaffen. Wir werden Ernst machen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Dann machen Sie mal!)

dass wir auf jedem Dach in diesem Land irgendwann eine Solarzelle haben, Ernst machen mit der Reduzierung unserer Abhängigkeit von Gas. Ich würde mich freuen, wenn die CDU/CSU hier nicht die ganze Zeit auf der Bremse stehen würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Merz, Sie haben eine Grundsatzfrage zum Haushalt gestellt. Sie haben gefragt: Warum reagieren wir sozialpolitisch nicht auf die Lage? Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass der Finanzminister schon jetzt einen Ergänzungshaushalt angekündigt hat,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das haben wir gesagt!)

weil es notwendig ist, die Menschen zu entlasten. Einen Tag vor dem Beginn des Krieges durch Russland haben wir ein Paket in Höhe von 13 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, das breite Entlastung bringt. Abschaffung der EEG-Umlage, Anhebung des Grundfreibetrags bei der Einkommensteuer, Anhebung der Grundsicherung in Form eines Einmalzuschlags, Erhöhung des Kinderzuschlags, all das haben wir jetzt schon auf den Weg gebracht, um die Menschen in diesem Land zu unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber es ist richtig – und das sagen wir ganz klar –: Die Menschen brauchen weitere Entlastungen. Denn schon jetzt steigen die Gaspreise enorm,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und was tun Sie dagegen? Sie streiten sich doch nur!)

schon jetzt ist damit zu rechnen, dass auf eine Durchschnittsfamilie in diesem Jahr Mehrkosten aufgrund gestiegener Gaspreise von 1 000 Euro oder mehr zukommen.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Und was ist die Lösung?)

Das ist eine Belastung bis in die Breite der Gesellschaft herein.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie streiten sich doch nur darüber, was man machen muss!)

Darauf wird diese Koalition Antworten geben

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

im Rahmen eines Ergänzungshaushaltes: breit, sozial gerecht und ökologisch nachhaltig.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Da sind wir sehr gespannt!)

Ich würde mich freuen, wenn die Opposition diese letzten zwei Schwachstellen irgendwann beenden würde und den Weg mit uns gehen würde.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Der Kollege Dr. Dietmar Bartsch hat das Wort für Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)