Rede von Erhard Grundl Haushalt 2022 - Generaldebatte Bundeskanzleramt

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23.03.2022

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine drei Minuten einem einzigen Punkt widmen. Wenn Krieg nicht mehr „Krieg“ heißen kann, wenn das Wort „Invasion“ in Bezug auf den Überfall Russlands auf die Ukraine bei Androhung von bis zu 15 Jahren Haft nicht benutzt werden darf, dann ist das das Ende von Meinungsfreiheit und Pressefreiheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das ist es, was wir im Krieg gegen die Ukraine gerade erleben.

Dieser Krieg ist auch ein Krieg um die Meinungshoheit und damit ein Krieg gegen Journalistinnen und Journalisten, gegen einen freien öffentlichen Diskurs und gegen eine kritische Zivilgesellschaft. Es zeigt, wie fundamental wichtig die freie Presse ist und wie sehr totalitäre Regime sie fürchten.

Vor zehn Jahren haben Nadeschda Tolokonnikowa, Marija Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch, drei junge Russinnen – besser bekannt unter ihrem Bandnamen „Pussy Riot“ –, Folgendes gesungen – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

Mutter Gottes … verjage Putin … Alle Gemeindemitglieder kriechen zur Verbeugung. Das Phantom der Freiheit ist im Himmel. Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt. Der KGB-Chef, ihr oberster Heiliger. Er wirft die Demonstranten in Scharen ins Gefängnis. Um den Höchsten nicht zu beleidigen, müssen Frauen gebären und lieben. … Mutter Gottes … werde Feministin …

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Für diese Zeilen sind die drei Frauen zwei Jahre ins Arbeitslager geschickt worden. Dieser abscheuliche Schuldspruch von Putins Justiz zeigte jedem und jeder, wie sehr Diktatoren die Freiheit der Kunst fürchten. Und die bittere Wahrheit ist: Wir haben damals zugeschaut. Wir haben business as usual gemacht, versehen vielleicht mit einer kleinen Protestnote am Revers. Das, meine Damen und Herren, darf uns nie wieder passieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Inzwischen sind in Russland die letzten unabhängigen Medien verboten worden, Facebook und Twitter wurden eingeschränkt. Aber Putin kämpft – wie letztendlich alle Diktatoren – einen aussichtslosen Kampf. Die Zahl der Menschen in Russland wächst, die die Verbote mitbekommen und die der monopolistischen Staatspropaganda misstrauen. Russische Journalistinnen und Journalisten haben gelernt, kreativ mit der Repression umzugehen und Verbote gegebenenfalls zu umgehen. Sie erfinden sich immer wieder neu, etwa die „Nowaja Gazeta“ oder Marina Owsjannikowa, die im Staatsfernsehen mit einem Plakat gegen den Krieg protestierte. „Hier werdet ihr belogen“, das stand auf dem Schild. Das sind die wahren russischen Heldinnen in Putins Angriffskrieg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Was diese Menschen machen, ist kreativ, und es ist für sie selbst gefährlich. Ich verbeuge mich hier am Rednerpult in diesem Hohen Hause in Demut vor dem Mut dieser Menschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

Es reicht aber nicht, hier ein Loblied auf die mutigen Menschen in Russland anzustimmen. Es ist entscheidend, dass wir in den kommenden Wochen die richtigen Konsequenzen ziehen. Wir müssen als Deutscher Bundestag dafür einstehen, dass die Kunstfreiheit und die unabhängige Presse als das eingestuft werden, was sie sind, nämlich die entscheidenden Voraussetzungen für unser Leben in Freiheit. Umso wichtiger ist das Soforthilfeprogramm für geflohene ukrainische Künstlerinnen und Künstler der Kulturstaatsministerin, für das zunächst 1 Million Euro zur Verfügung stehen werden.

Ja, Putins Propaganda benutzt auch das Wort „Befreiung“. Aber ich habe die Geflüchteten aus der Ukraine gesehen, und ich konnte auch mit einigen von ihnen sprechen. Sie fliehen nicht vor Befreiern, sie fliehen vor denen, die sie unterjochen wollen und ihren Willen zur Freiheit mit Panzern und Bomben brechen wollen.

Meine Damen und Herren, das Punkgebet von Pussy Riot wird noch da sein, wenn der Diktator längst Geschichte ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Das ist die Macht der Freiheit der Kunst. Lassen Sie uns sie bewahren.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Stefan Seidler.